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Opposition hilft Ramelow ins Amt
CDU und FDP ermöglichen Wahl des Thüringer Linken durch Enthaltung und Boykott
Zwei Mal schaut der Linke-Politiker Bodo Ramelow zum CDU-Fraktionsvorsitzenden Mario Voigt herüber, nickt kurz und lächelt. Das erste Mal tut Ramelow das, nachdem er im ersten Wahlgang gescheitert ist. Das zweite Mal tut Ramelow das, nachdem er im zweiten Wahlgang gescheitert ist. »Alles okay, so haben wir das abgemacht«, soll dieses Nicken wohl heißen. Und: »Danke, dass Sie sich an unsere Absprache halten.«
Nach dem dritten Wahlgang nickt Ramelow dann nicht mehr. Er schaut erst zu Thüringens Landtagspräsidentin Birgit Keller (Linke), dann legt ihm die Linke-Partei- und -Fraktionsvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow, die neben ihm im Plenarsaal sitzt, eine Hand auf die Schulter. Anschließend blickt Ramelow hinauf zu seiner Frau, die auf der Besuchertribüne sitzt, während er auf den Abgeordnetenbänken Platz genommen hatte. Dann geht Ramelow zu seiner Vereidigung als neu gewählter Ministerpräsident.
Nach drei Wahlgängen ist es tatsächlich geschafft, für Ramelow geht sein Lebenstraum weiter: Er, der Ex-Ministerpräsident, der genau vier Wochen zuvor vom FDP-Mann Thomas Kemmerich, der auch von Abgeordneten der AfD gewählt wurde, aus dem Amt getrieben worden war, ist am Mittwoch in Erfurt erneut zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt worden. Anders als in den beiden ersten Wahlgängen reicht ihm dafür im dritten Wahlgang die relative Mehrheit, die Linke, SPD und Grüne zusammen im Landtag haben: 42 Ja-Stimmen. Genau so viele erhält der 64-Jährige in diesem letzten Wahlgang. In den ersten beiden Wahlgängen dagegen hätte er die absolute Mehrheit der Abgeordnetenstimmen - also 46 von 90 - gebraucht. Mit der Landtagswahl vom Oktober hatte Rot-Rot-Grün seine parlamentarische Mehrheit verloren.
Vor allem die Linken sind unmittelbar nach der Wahl erleichtert. Natürlich klatschen ihre Abgeordneten, als Ramelow sagt, er nehme die Wahl an. Auch die Parlamentarier von SPD und Grünen klatschen. Auch wenn niemand - anders als nach der ersten Wahl Ramelows 2014 - euphorisch wirkt. Und doch kann diese Erleichterung über die Wiederwahl Ramelows zum Regierungschef nicht darüber hinweg täuschen, wie hoch der Preis dafür ist, wie sehr die Umstände dieser Wahl die nächsten Monate in Thüringen weiter verkomplizieren dürften. Denn eine wirkliche Lösung der politischen Krise im Freistaat ist die geglückte Wahl Ramelows nicht; auch wenn Ramelow kurz nach seiner Wiederwahl wieder ein vollständiges Regierungskabinett ernennt. Es ist im Wesentlichen sein bisheriges Kabinett, nur auf dem Posten des Justizministers gibt es einen Wechsel: Anstelle von Dieter Lauinger steht nun sein Parteikollege, der bisherige Grüne-Fraktionsvorsitzende Dirk Adams, an der Spitze dieses Ressorts.
Am Beginn des Wahltages gab es wieder eine völlig unvorhergesehene politische Wendung; eine, die das zweimalige Nicken Ramelows zu Voigt erst möglich gemacht hatte; und die gleichzeitig auch die jüngste politische Vereinbarung zwischen der CDU und Rot-Rot-Grün ab absurdum geführt hatte - sehr zum Verdruss vieler Parlamentarier vor allem von SPD und Grünen. »Völlig unabgesprochen« beziehungsweise »ohne jede Absprache« habe Ramelow diese Wendung vollzogen, klagen mehrere Sozialdemokraten und Grüne übereinstimmend zwischen den Wahlgängen auf den Fluren des Landtages. Es sei nunmehr völlig sinnfrei, in den nächsten Monaten noch irgendwelche Absprachen in der Landespolitik zu treffen. Nicht einmal mehr Ramelow fühle sich offenbar daran gebunden. Selbst unter Linken heißt es, diese jüngste Wendung habe sie »völlig überrascht«.
Bis unmittelbar vor der Wahl an diesem Mittwoch nämlich hatte Rot-Rot-Grün darauf bestanden, dass Ramelow im ersten Wahlgang gewählt werden müsste - mit einzelnen Stimmen der CDU. Noch in der vergangenen Woche hatte Hennig-Wellsow damit gedroht, scheitere Ramelow im ersten Wahlgang, werde Rot-Rot-Grün die Wahl unterbrechen und sofort einen Antrag auf Auflösung des Landtages einreichen; wo die CDU Neuwahlen angesichts ihrer schlechten Umfragewerte doch unbedingt vermeiden will. Auch andere Spitzenleute von Rot-Rot-Grün hatten diese Drohung wiederholt - gestützt auch darauf, dass es aus Verhandlungskreisen - auch am Mittwochnachmittag noch einmal - übereinstimmend heißt, die CDU-Leute hätten bei den jüngsten Gesprächen mit Linken, SPD und Grünen zugesagt, zumindest vier Abgeordnete aus ihren Reihen würden Ramelow gleich im ersten Wahlgang mitwählen.
Dann plötzlich, nur Stunden vor den Abstimmungen der Schwenk: Ramelow ließ die Welt wissen, dass er trotz aller anderslautenden Ankündigungen aus der Vergangenheit doch bereit sei, durch alle drei Wahlgänge zu gehen - und dass er auch zufrieden sei, wenn die CDU-Leute sich in allen drei Wahlgängen ihrer Stimme enthielten. Erst in der Nacht soll das verhandelt worden sein. Mit Voigt. Und vielleicht auch mit einem Lächeln.
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