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  • Rassismus in Griechenland

Geflüchtet und gejagt

Griechenland ist Hotspot rassistischer Gewalt geworden

  • Carolin Philipp, Athen
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist beängstigend, wie schnell die Propagandamaschine von Regierung und Medien in Griechenland arbeitet und die Bevölkerung beeinflusst«, sagt ein Teilnehmer der antirassistischen Demonstration in Athen am Donnerstag. Während die Regierung unter Kyriakos Mitsotakis zur Sicherung der EU-Außengrenzen aufruft, forderten Demonstrant*innen bei abendlichen Protesten in mehreren Städten des Landes, die Grenzen für Geflüchtete zu öffnen. Allein 10 000 Menschen zogen ungewöhnlich still durch das Zentrum der Hauptstadt. Auch im nördlich gelegenen Thessaloniki waren mehrere Tausend Menschen zusammengekommen.

Häufiges Gesprächsthema waren die schockierenden Nachrichten von der griechisch-türkischen Grenze, insbesondere ein Video, das den sterbenden 22-jährigen Syrer Mohammad al-Arabi am Fluss Evros zeigt. Mutmaßlich von einem griechischen Geschoss im Gesicht getroffen, bricht er zusammen, wird wieder an das türkische Ufer gebracht und in einem Rettungswagen abtransportiert. Regierungssprecher Stelios Petsas von der rechtskonservativen Nea Dimokratia bezeichnete die Meldung von einem Toten an der Grenze am Montag als »Fake News« und »türkische Propaganda«. Widerlegt wurde er vom Forschungskollektiv Forensic Architecture, das schon den NSU-Mord an Halit Yozgat 2006 in Kassel und die Verwicklung der griechischen Neonazis der Goldenen Morgenröte in den Mord am antifaschistischen Rapper Pavlos Fyssas 2013 untersuchte. Basierend auf Metadaten von mehreren Videos vollzogen die investigativen Forscher*innen nach, wann und wo sich der sterbende al-Arabi aufhielt.

Auch vor den griechischen Inseln wurden Zurückweisungen, sogenannte Push-Backs, per Video dokumentiert. So ist zu sehen, wie Boote hohe Wellen erzeugen, die die kleinen und vollen Schlauchboote der Geflüchteten in Bedrängnis bringen, Schüsse werden abgefeuert, die Boote mit langen, spitzen Metallstangen traktiert.

Derweil überschlagen sich Rechtsradikale aus ganz Europa damit, private und paramilitärische Gruppierungen zu entsenden und »Solidarität mit den griechischen Grenzschützern« zu zeigen. Eine Delegation der »Identitären Bewegung Österreich« unter Martin Sellner und Brittany Pettibone posierte mit einem Banner, das die Aufschrift »No way. You will not make Europe your home« (Englisch für: Keine Chance. Du wirst Europa nicht zu deinem Zuhause machen) trug, nahe der türkisch-griechischen Grenze. Sellner zeigte auch das »White Power«-Handzeichen.

Die Website »Fernsehen ohne Grenzen« (TVXS) berichtet, dass in der griechischen Stadt Volos am Dienstag die geschlossene Facebook-Gruppe »Jäger gegen illegale Einwanderer« mit über 300 Mitgliedern gegründet wurde. Sie soll dazu aufrufen, in der Stadt Migrant*innen zu jagen und in der Region Evros paramilitärische Milizen zu stärken. »Man kann nicht sagen, dass es erst jetzt Faschist*innen in Griechenland gibt«, sagt eine Demonstrantin am Donnerstagabend resigniert. »Es gab sie schon immer. Aber jetzt trauen sie sich, sich offen als solche zu zeigen.«

Auf der Ägäisinsel Lesbos hat die faschistische Gewalt von Rechtsradikalen dazu geführt, dass viele Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen und Journalist*innen aufs Festland geflohen sind, während die Geflüchteten der bedrohlichen Situation dort ausgesetzt bleiben.

Die Europäische Union versucht zur Zeit ausschließlich, auch mit Waffengewalt, ihre Grenzen zu sichern und setzt laut der Vereinigung Europäischer Demokratischer Anwälte (EDA) das Menschenrecht auf Asyl außer Kraft. Unterstützt wird die EU dabei von vielen Medien. Selten ist die Rede davon, wie die westliche Politik des »Regime change« auch in Syrien zu Krieg und Chaos geführt hat. Die liberal-konservative griechische Tageszeitung »Kathimerini« kommentiert: »Niemand will Familien verjagen und Kinder, die ihr Zuhause verloren haben und nach einer besseren Zukunft suchen. Niemand. Die Aufgabe eines Staates ist es jedoch, das nationale Interesse zu verteidigen, manchmal um jeden Preis.«

Zwölf Organisationen, darunter EDA, Medico International und Sea-Watch, fordern dagegen in einer Erklärung eine Lösung an den Wurzeln von Flucht und Verfolgung, ohne sich in die Abhängigkeit der türkischen Regierung zu begeben. »Diese Katastrophe ist eine direkte Folge des rechtswidrigen und inoffiziellen EU-Türkei-Abkommens (von 2016)«, heißt es. Es müsse sofort beendet werden. »Es besteht kein Zweifel, dass die Türkei kein sicheres Land für Migranten ist.« Die einseitige griechische Aussetzung der Registrierung von Schutzgesuchen dürfe nicht unterstützt werden.

Bisher verhallen solche Appelle. Die EU hat diese Woche vielmehr beschlossen, 700 Millionen Euro und 100 zusätzliche Frontex-Beamt*innen für den sogenannten Grenzschutz zur Verfügung zu stellen - Maßnahmen, die im krassen Widerspruch zur unzureichenden Versorgung der Geflüchteten stehen.

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