Freispruch für Pell?
Australischer Kardinal hofft auf Berufungsverfahren
Gut ein Jahr nach seiner Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs will Kardinal George Pell vor dem höchsten australischen Gericht seinen Freispruch erreichen. Der High Court in Canberra befasst sich seit Mittwoch mit dem letzten möglichen Einspruch des 78-Jährigen, es gab zunächst keine Entscheidung.
Der frühere Erzbischof von Melbourne war wegen des Missbrauchs von zwei Chorknaben in den 1990er Jahren zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Pell legte dagegen Rechtsmittel ein. Er weist alle Vorwürfe zurück.
Die Berufungsverhandlung ist für zwei Tage angesetzt. Pell erschien nicht; er sitzt in einem Hochsicherheitsgefängnis in der Nähe von Melbourne. Zum Prozess am Mittwoch demonstrierten sowohl Unterstützer als auch Gegner des Kardinals vor dem Gericht. Beide Seiten gerieten kurz aneinander, als ein Mann mit dem Schild »Verbrenn in der Hölle, Pell« daran gehindert wurde, mit Reporter zu sprechen.
Für den 78-Jährigen könnte die Verhandlung die letzte Chance sein, auf freien Fuß zu kommen. Der erste Versuch, das im März 2019 gesprochene Urteil von einem Berufungsgericht aufheben zu lassen, scheiterte im August. Demnach hätte Pell frühestens im Oktober 2022 aus der Haft entlassen werden können. Nach der Entscheidung des Berufungsgerichts legten die Anwälte des Geistlichen beim obersten Gericht Einspruch ein, so dass sich dieses nun damit befasst.
Die Prozesse um die »schockierenden Anschuldigungen« hätten 22 Jahre nach den angeblichen Vorfällen stattgefunden, sagte Pells Anwalt Bret Walker in der Anhörung. Es verwies darauf, dass es nur eine Aussage gab, die als Beweis diente.
Eines von Walkers Argumenten: Nach einer Sonntagsmesse sei es unmöglich gewesen, dass ein Erzbischof fünf oder sechs Minuten in der Sakristei mit zwei Chorknaben alleine war - so soll es bei einem Übergriff gewesen sein. Bei dem anderen Fall, für den Pell verurteilt wurde, waren laut Walker keine Zeugen dabei. Die Anklage dreht zudem seiner Meinung nach die Beweislast um: Statt dass sie Pells Schuld beweist, musste die Verteidigung seine Unschuld beweisen.
Der Juraprofessor Jeremy Gans von der Universität Melbourne sagte zum ersten Tag der Verhandlung: »Es war ein recht guter Tag für Pell, weil er von hinten anfing.« Das kann man so verstehen: Der Kardinal sitzt im Gefängnis, seine Situation kann nur gleich bleiben oder sich verbessern. Gans erwartet, dass das Gericht der Rechtsbeschwerde von Pell stattgeben könnte. Aber es sei sehr wahrscheinlich, dass das Gericht seine Entscheidung nicht am Donnerstag, sondern später treffe.
Die Vorwürfe reichen in die Jahre 1996/97 zurück, als Pell gerade Erzbischof von Australiens zweitgrößter Stadt Melbourne geworden war. Einer der früheren Chorknaben starb vor einigen Jahren an einer Überdosis Rauschgift. Der andere ist heute Mitte 30 und war im Prozess der entscheidende Belastungszeuge. Er galt den Richtern als sehr glaubhaft. dpa/nd
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