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Hamburgs Senat wird grüner
Bei den nun beginnenden Koalitionsgesprächen muss die SPD der Ökopartei stärker als bisher entgegenkommen
Mehr Grün und mehr Frauen - neben inhaltlichen Differenzen stehen SPD und Grüne in Hamburg vor ihren Koalitionsverhandlungen ab nächster Woche auch vor zwei Rechenaufgaben. Wie lassen sich die Plätze im zwölfköpfigen Senat so verteilen, dass sowohl der Frauenanteil von bisher vier Senatorinnen steigt als auch die neue Stärke der Grünen berücksichtigt wird, die bei der Bürgerschaftswahl im Februar 24,2 Prozent der Stimmen eingefahren haben?
Eine Rechnung ging schon ziemlich glatt auf: Am Dienstagabend beschloss der SPD-Landesvorstand einstimmig, Koalitionsverhandlungen mit den Grünen aufzunehmen. Es sei »die naheliegende Option«, erklärte Bürgermeister Peter Tschentscher, der mit 39,2 Prozent ein sehr respektables Ergebnis erreicht hatte. Um den Druck auf den nicht mehr ganz so kleinen Partner zu erhöhen, trafen sich die Sozialdemokraten allerdings auch zu Sondierungen mit der CDU, die mit gerade 11,2 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte verzeichnen musste. Die künftige Stadtregierung mit der CDU zu bilden, sei immer noch »eine Option«, so Tschentscher.
Der Bürgermeister kündigte jedoch auch an, er wolle seinen »erfolgreichen Kurs über Jahrzehnte fortführen«. Gemessen an der Ordentlich-regieren-Rhetorik seines Amtsvorgängers Olaf Scholz kann das in der nüchternen Hansestadt nicht nur als beinahe euphorisch gelten, sondern auch als Hinweis, dass dies mit den Grünen am besten umgesetzt werden kann. Zumal das seit fünf Jahren regierende Bündnis in der Bürgerschaft über eine Zweidrittelmehrheit verfügen würde. Es gebe »nichts, was nicht auf dem Verhandlungswege lösbar wäre«, sagte die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank von den Grünen.
Inhaltlich dürfte am meisten über die Themen Bauen und Verkehr gestritten werden, zumal die künftige Behördenleitung in diesen Bereichen am wenigsten klar ist. Die für Gesundheit zuständige Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) hat als bislang einzige Senatorin ihren Rückzug angekündigt, doch ihr Ressort ist im Senatorenroulette kein Hauptgewinn. Besetzen die Grünen die Behörde, etwa durch Landeschefin Anna Gallina, würde dies allein ihre gewachsenen Ansprüche in Sachen Politik und Personal kaum befriedigen.
Die grünen Trauben hängen höher: Der parteilose Michael Westhagemann wurde 2015 auf SPD-Vorschlag zum Leiter der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation, auf die die Grünen ein Auge geworfen haben. Die Verkehrswende mit mehr Radwegen und einer stärkeren Regulierung von Autos, Schiffen und Flugzeugen durchzusetzen, wäre eine interessante Perspektive, für die Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks ein Kandidat sein könnte. Schließlich möchte die Partei Hamburg bis 2035 klimaneutral machen, wofür sich die in Hamburg besonders wirtschaftsnahe SPD 15 Jahre mehr Zeit nehmen will. In diesem Zusammenhang dürfte spannend sein, ob die eigentlich zu den Akten gelegten Gedankenspiele neuen Auftrieb erhalten, den Helmut-Schmidt-Airport ins holsteinische Kaltenkirchen zu verlagern.
Die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen wird von Dorothee Stapelfeldt geleitet, die während der SPD-Alleinregierung von 2011 bis 2015 auch Zweite Bürgermeisterin war. Zwar betont die 63-Jährige, im Amt bleiben zu wollen, doch auch ihr Feld ist für die Grünen von besonderem Interesse. Einerseits will die Stadt alljährlich mehr als 10 000 neue Wohnungen genehmigen, andererseits klagt mancher Innenstadtbewohner (und Grünen-Wähler) über die Zumutungen der Nachverdichtung. Die »nachhaltige Freiraumplanung« der Grünen setzt auf Solarzellen, begrünte Dächer und Aufstockung nur dort, wo der fünfte Stock noch nicht erreicht ist - denn allzu hoch zu bauen, gilt in Hamburg schnell als Frevel.
Gut möglich, dass sich die Parteien auf neue Zuschnitte der beiden Behörden einigen, die den Sozialdemokraten die Obhut über das Politikfeld Wirtschaft belässt und den Grünen mehr Spielraum bei der Stadtentwicklung gibt. Als Faustregel gilt: Je mehr Inhalte die SPD in einem Koalitionsvertrag festklopfen kann, desto großzügiger könnte das grüne Personal bedacht werden.
Personell ist der Spielraum für lange Rochaden allerdings beschränkt: Neben Bürgermeister Tschentscher und seiner grünen Stellvertreterin und Wissenschaftssenatorin Fegebank ist auch das SPD-Trio Andreas Dressel (Finanzen), Melanie Leonhard (Soziales) und Andy Grote (Inneres) unantastbar. Schulsenator Ties Rabe und Kultursenator Carsten Brosda (beide SPD) müssten allenfalls bei umfangreichen Revirements um ihre Posten bangen. Bei den Grünen ist Umweltsenator Jens Kerstan als Chef eines Kernressorts unverzichtbar.
Hinter Justizsenator Till Steffen steht hingegen ein Fragezeichen. Zwar hat der 46-Jährige in der Partei eine Hausmacht, doch die gescheiterte Wahl der Grünen-Kandidatin Katja Husen zur Bezirksamtsleiterin von Eimsbüttel hat einen Schatten auf ihn geworfen. Kerstan hatte als Eimsbütteler Lokalchef den Wechsel der Ökopartei von der SPD zur CDU angeschoben, doch gleich zweimal verweigerten drei Kommunalabgeordnete Husen Ende 2019 die Stimme - ein Fiasko, das grün-schwarze Machtoptionen auf Stadtebene schon vor den Ereignissen in Thüringen nachhaltig beschädigte.
Ein Rückzug von Steffen könnte en passant die Frauenquote erhöhen, die 2015 mit dem Einzug der Grünen in den Senat von 50 auf 33 Prozent gesunken war. Kandidatinnen für das Amt wären die Grüne Carola Timm oder die Sozialdemokratin Jana Schiedek, die die Justizbehörde bereits von 2011 bis 2015 geleitet hat.
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