- Brandenburg
- Gewalt von Rechts in Brandenburg
Rechte Gewalt verlagert sich
Opferperspektive registriert Entspannung in Cottbus und höhere Fallzahlen in Potsdam
Eine 16-jährige Jugendliche ist mit ihren acht und neun Jahre alten Verwandten unterwegs. Sie sammeln Herbstlaub für ein Schulprojekt und unterhalten sich auf Tschetschenisch. Zwei Frauen hören das und beleidigen die Minderjährigen, schlagen die 16-Jährige und kratzen dem achtjährigen Kind ins Gesicht.
Der Vorfall im September 2019 ist kein Einzelfall. 110 Minderjährige sind im vergangenen Jahr in Brandenburg aus rechten beziehungsweise rassistischen Motiven attackiert worden. In den seltensten Fällen seien die Täter Gleichaltrige, zumeist seien es Erwachsene gewesen, sagt Joschka Fröschner vom Verein Opferperspektive am Donnerstag bei der Vorstellung des Ausmaßes rechter Gewalt in Brandenburg. Insgesamt 142 rechte Gewalttaten registrierte die Opferperspektive im vergangenen Jahr, 32 weniger als 2018. Unter den Betroffenen waren 39 Prozent minderjährig - so viele wie noch nie.
2019 kam es zu 142 rechten Übergriffen (2018: 174), denen 242 Menschen zum Opfer fielen, davon 110 Minderjährige (39 Prozent).
Es gab 112 Körperverletzungen, darunter 43 gefährliche, außerdem 19 Fälle von Nötigung und Bedrohung, vier massive Sachbeschädigungen, zwei Brandstiftungen sowie sechs sonstige Delikte wie Landfriedensbruch.
75 Prozent der Attacken waren rassistisch motiviert (106), 17 Angriffe richteten sich gegen politische Gegner, fünf hatten ein antisemitisches Motiv.
Auf einen muslimischen Gebetsraum in Frankfurt (Oder) wurden im vergangenen Jahr gleich zwei Anschläge mit Buttersäure verübt. Ebenfalls betroffen war ein in der Nähe befindlicher Dönerimbiss, der wegen des Gestanks massive Umsatzeinbußen verzeichnete. af
Dass die Zahlen gesunken sind, liegt auch am deutlichen Rückgang rechter Gewalttaten in Cottbus von 35 auf 14. Über die Ursachen kann Fröschner nur spekulieren. Er glaubt, dass die verbesserte Sozialarbeit ebenso Wirkung zeigt wie die verstärkte Polizeipräsenz. So fanden früher viele Übergriffe direkt vor der Stadthalle statt. Dort gibt es mittlerweile eine Anlaufstelle von Polizei und Ordnungsamt.
Fröschner warnt allerdings, dass der positive Trend »auf Sand gebaut« sein könnte, wenn die Justiz nicht durchgreift. »Die Opfer, mit denen wir zu tun haben, bereuen es ausnahmslos, Anzeige gestellt zu haben«, erzählt der Berater. »Man muss von de facto Straffreiheit im Amtsgerichtsbezirk Cottbus sprechen.« Verdächtige würden hier erst bis zu sieben Jahre nach der Tat vor Gericht gestellt und könnten in der Regel von den Opfern nach so langer Zeit nicht mehr identifiziert werden. Erst am Mittwoch war es vier Jahre nach einer Attacke auf linke Jugendliche zu einem Freispruch gekommen (»nd« berichtete). Die Richterin begründete die lange Verzögerung mit Personalmangel und setzte Hoffnungen in die neue Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU), die Abhilfe versprochen habe.
Dass es auch anders geht, zeigt die Uckermark, wo es für rechte Übergriffe aus dem vergangenen Jahr bereits jetzt Gerichtstermine gebe, lobt Fröschners Kollegin Anne Brügmann. Hier komme es auch zu Verurteilungen, mit entsprechend abschreckender Wirkung. Überraschend ist hingegen die Zunahme rechter Übergriffe von 11 auf 17 in Potsdam. Die Zahl sei »enorm hoch für eine als tolerant und weltoffen beschriebene Stadt«, findet Brügmann, die sich das nicht so recht erklären kann.
Nachdem die Zahl der Angriffe insbesondere auf Flüchtlinge, aber auch auf Linke, Homosexuelle oder Obdachlose in ganz Brandenburg seit 2015 sprunghaft angestiegen war, bewegt sie sich laut Opferperspektive nun wieder auf dem Niveau der Jahre 2004 bis 2006. Diesen spürbaren Rückgang wertet Judith Porath als »gute Nachricht«. Die Vereinsgeschäftsführerin warnt jedoch, dass die Bedrohung durch rechten Terror nach den Anschlägen in Kassel, Halle und zuletzt Hanau wieder größer geworden sei, auch wenn sich das in den Opferzahlen nicht wiederfinde.
»Betroffene sind zu Recht verunsichert und fühlen sich nicht geschützt. Rechte Angriffe und Bedrohungen können immer und überall passieren«, so Porath. In jedem Beratungsgespräch hörten die Mitarbeiter der Opferperspektive inzwischen , dass die Menschen Angst haben, in Deutschland zu leben. Eltern mit Migrationshintergrund würden sich nicht mehr trauen, ihre Kinder unbeaufsichtigt im Hof spielen zu lassen, weil Kinder von Nachbarn geschlagen würden.
Nicht in der Statistik erfasst sind Beleidigungen. »Meinungsfreiheit gehört zur Demokratie, Diffamierung nicht«, stellt jedoch Frauke Büttner vom Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt klar.
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