- Politik
- Coronakrise in Iran
Gefährliche Geheimniskrämerei
Im Iran fehlen beim Kampf gegen den Coronavirus nicht nur Krankenhäuser.
Mitten im Atomkonflikt mit dem Westen hat das Coronavirus den Iran befallen, und zeigt, was es kann, wenn es auf Geheimniskrämerei, Bürokratie und Inkompetenz trifft: Tausende, vom Regierungsmitglied bis zum einfachen Arbeiter, sind infiziert, Hunderte gestorben; wie viele genau, weiß wohl niemand. Die Behörden taten wochenlang das, was sie immer tun, wenn es ein Problem gibt: Sie redeten die Folgen klein und bliesen die Erfolge auf. Im Staatsfernsehen wurden Zelte gezeigt, in denen Pflegerinnen Patienten Beatmungsgeräte anlegen und auch: wie das Leben in Teheran und anderswo scheinbar ungehindert weiter geht. Das Narrativ: Die US-Sanktionen seien schuld an der Situation, doch man schaffe das.
Diese Woche änderte man den Kurs: Schulen und Universitäten wurden geschlossen, das Reisen im Land eingeschränkt, die öffentlichen Freitagsgebete abgesagt. Gesundheitsminister Saaed Namaki erklärte, es würden sich wohl bis zu 40 Prozent der Einwohner*innen Teherans infizieren; man sei aber darauf vorbereitet. Doch die Realität sieht anders aus: Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mangelt es an ausgebildetem Personal, an Medikamenten, selbst an Fieberthermometern. Mittlerweile gibt es trotz der Zensur aus allen Regionen Berichte über Virus-Infektionen. Wer schwer erkrankt, kann zudem nicht unbedingt auf medizinische Hilfe hoffen: Es gibt in vielen ländlichen Regionen nur wenige Ärzte und noch weniger Krankenhäuser; jahrzehntelang wurde wenig in die medizinische Infrastruktur außerhalb der Städte investiert.
Mittlerweile machen geheim aufgenommene Bilder von aufgestapelten Leichensäcken die Runde, die »New York Times« veröffentliche Satellitenbilder, die offenbar Massengräber zeigen. Zählt man die Berichte von Provinzbeamten, die trotz Zensur kein Blatt mehr vor den Mund nehmen, zusammen, kommt man insgesamt auf knapp unter 1000 Tote - und damit viel mehr als die offizielle Angabe von rund 500. Verschärft wird die Situation durch Macht und Korruption; es herrsche ein Verteilungskampf um die medizinische Versorgung, heißt es bei der WHO: Menschen mit Geld und Einfluss versuchten, Vorteile bei der Behandlung zu verschaffen. Sie sorgten dafür, dass knappe Ressourcen von Menschen genutzt werden, die sie eigentlich nicht sofort brauchen.
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