Umtriebe in Zeiten von Corona

HEPPENHEIMER HIOB: Roberto J. De Lapuente über Medien angesichts des Coronavirus

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Nun habe ich mich einige Tage darauf besonnen, womit ich die heutige Kolumne thematisch ausstatten soll. Aber egal, was man momentan anfasst, man landet unweigerlich bei dem Thema des Augenblicks: beim Coronavirus. Alles, was sonst noch passiert, wird durch dieses Sujet berührt – oder eben abgesagt. Alle anderen Themen wirken momentan auch etwas kleinlich, obgleich sie natürlich auch weiterhin eine Berechtigung haben. Aber interessiert das die Leser? Haben die momentan nicht anderen Sorgen und Ängste?

Insofern könnte ich an dieser Stelle auch einfach mal schweigen. Der Kolumnist ist in Zeiten, da die bekannte Ordnung mindestens den Fugen gerät, nicht unbedingt ein gefragter Mensch. Aber auch er muss von was leben. Insofern hält er die Tastaturtasten nicht still. Der Kolumnist dieser Zeilen jedenfalls war bis vor etwa einer Woche noch überzeugt, dass da medial eine Hysterie unterfüttert wird. Er - also ich - wusste nicht so genau, ob Covid-19 nicht etwa doch nur einfach eine ordinäre Grippe ist. Das hat sich gewandelt.

Die ergriffenen Maßnahmen sind ein lohnenswerter Versuch, die Pandemie einzudämmen. Ob es klappt, wird die Zeit weisen. Die Hoffnung infiziert sich bekanntlich zuletzt. Dass ich jedoch so lange gezweifelt, ja auch spöttisch auf die Corona-Krise geäugt habe, hat weniger mit meinem medizinischen Laientum zu tun, als mit meiner jahrelangen Erfahrung mit unseren Qualitätsmedien im Lande.

Die sind nämlich immer aufgeregt, hangeln sich von Krise zu Krise, von Skandal zu Skandal, von Hysterie zu Hysterie. Selbst in normalen Zeiten ohne Quarantänecharakter produziert sie zu ausgewählten Themen ganze Kataloge an Artikel und Meinungsberichten. Sie scheißen den Konsumenten so lange zu mit einem Sujet, bis der anfängt zu glauben, dass da was Bahnbrechendes passiert. Nach einer Weile zieht der Tross der Kakophonie-Produzenten dann weiter.

Bei der Krise um den Klimawandel, die sich durch das journalistische Jahr 2019 geschlängelt hat, habe ich das so empfunden. Nein, nicht dass ich da was leugne. Aber die Massenmedien produzierten so viele Texte zur Sache, jeder Fuzzi aus dem Kultur- oder Lifestyleressort hatte plötzlich auch was zur Sache zu tippen, dass man als Leser unterging im Ozean der thematischen Monotonie. Am Ende dachten viele, wir stehen kurz vorm Aussterben der Menschheit. Bei aller Sorge: So weit war es dann doch nicht.

Einige Monate später sterben wir nicht mehr am Klima, sondern an einem Virus aus. Die Berichterstattung ist noch immer hysterisch, Tickermeldungen und Live-Blogs informieren minutiös. Übrigens ist »minutiös« ein sehr hübsches Wörtchen aus der analogen Zeit. Heute müsste man ein neues erfinden: Sekundiös. Die Hochfrequenztaktung fabriziert nicht unbedingt mehr sachdienliche Informationen, füllt aber den Ticker und trägt nebenbei dazu bei, dass man sich als Konsument erschlagen fühlt.

An dieser ohnmächtigen Stelle holt die Hysterie einen ab. Wenn die Informationsflut so hoch ist, dass man den Überblick verliert, dann kann es ja vielleicht durchaus sein, dass alles genau so schlimm ist, wie jene Artikel behaupten, die von vielen Klicks und Aufmerksamkeitsstrategien zehren.

Journalismus scheint sich in den letzten Jahren zu einer stetigen Abfolge von Krisen- und Hysterie-Themen modifiziert zu haben. Der ausgewogene Blick auf eine Sache existiert freilich noch, wird aber in das Heer von Leseangeboten eingeflochten. So findet man zum Beispiel zu jedem Thema auch bei Spiegel Online gute, sachliche und ruhige Berichte. Aber wenn das Magazin synchron dazu fünf weitere und am gesamten Tag fünfzehn weitere Texte zur Sache publiziert, gehen solche Einschätzungen unter. Dazu kommen ja auch noch tausende andere Texte anderer Zeitungen und Magazine.

Im Fernsehen konnte man befragte Passanten sehen, die recht lax an die Sache herangingen. Covid-19 sei nur eine Grippe, man würde sich nicht einschränken lassen. Über solche Einstellungen schütteln dann im Regelfall jene Medien besonders moralisch und lehrerhaft den Kopf, die eigentlich zur Verwirrung der Leute beitragen. Das sind im Regelfall Medienabtrünnige, die mittlerweile immer vom Gegenteil dessen ausgehen, was die Massenmedien erzählen.

Es ist ein bisschen so, wie mit dem Jungen, der immer »Feuer, Feuer!« ruft, obwohl es nicht brennt. Anfangs liefen die Bewohner noch aus der Mietskaserne. Aber irgendwann war ihnen klar, dass das nur ein dummer Spaß ist und sie stellten ihre Aufmerksamkeit ein. Wenn es jetzt irgendwann wirklich mal brennt, kann der Junge noch so laut rufen. Sie werden ihn nicht hören. Aus dem Grund habe ich - wie viele andere - bis neulich den Corona-Virus als Quatsch abgetan.

Wenn die Geschichte vorbei ist, sollten wir mal über unsere Art der Berichterstattung und der News-Gewohnheiten sprechen. Darüber was Pressefreiheit heißen kann. Aber natürlich nur dann, wenn nicht gleich die nächste Krise oder der nächste Hype dazwischenkommt …

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