Das Ende vom Anfang - »Cum-Ex«-Showdown

Steuerbetrug war schon lange strafbar und nun ist es auch die gezielte Ausnutzung einer Gesetzeslücke

  • Larissa Schwedes
  • Lesedauer: 4 Min.

Bonn. »Cum-Ex« ist strafbar. In Tagen, an denen der Ausnahmezustand fast zur Normalität geworden ist, klingt das fast banal. Doch dieses Urteil des Bonner Landgerichts, mit dem der bundesweit erste Strafprozesses um die umstrittenen Aktiendeals zu Ende geht, ist bislang noch von keinem Gericht ausgesprochen worden. Über Jahre hinweg hatten »Cum-Ex«-Akteure beteuert, lediglich sehr listig eine Gesetzeslücke ausgenutzt zu haben - oder tun das immer noch. Von der Justiz war bislang nur geklärt worden, dass »Cum-Ex« steuerrechtlich nicht zulässig ist.

Mit »Cum-Ex«-Deals prellten Investoren und Banken den Staat über Jahre hinweg um Milliarden. Rund um den Dividendenstichtag wurden Aktien mit (»cum«) und ohne (»ex«) Ausschüttungsanspruch zwischen mehreren Beteiligten - Banken, Investoren, Fonds - hin- und hergeschoben. Am Ende konnte der Fiskus nicht mehr nachvollziehen, wem die Papiere wann gehörten. Die Folge der Karussellgeschäfte: Bescheinigungen über Kapitalertragsteuern und den darauf entfallenden Solidaritätszuschlag wurden mehrfach ausgestellt. Finanzämter erstatteten Steuern, die gar nicht gezahlt worden waren.

In Bonn wurde konkret über 33 Fälle besonders schwerer Steuerhinterziehung verhandelt, bei denen die zwei angeklagten britischen Aktienhändler eine wichtige Rolle spielten. Da beide jedoch über Monate hinweg der Staatsanwaltschaft Rede und Antwort standen und auch in dem seit September laufenden Mammutprozess in Bonn bereitwillig redeten, vorrechneten und Hinweise gaben, kommen sie nun mit relativ milden Strafen davon. Ein Jahr und zehn Monate Haft auf Bewährung für den einen Angeklagten, der zudem noch rund 14 Millionen Euro an Steuerschulden zurückzahlen muss. Der zweite Angeklagte kommt mit einem Jahr auf Bewährung davon, in Teilen der Anklage sogar mit einem Freispruch.

Der Vorsitzende Richter Roland Zickler betonte, die beiden Briten hätten mit ihrer Offenheit gegenüber den Ermittlern überhaupt erst den Boden für das Verfahren bereitet - und damit für viele weitere. Das dürfe nicht dazu führen, dass sie als »große Cum-Ex-Täter« hingestellt würden. »Die Angeklagten haben an der Entstehung immens hoher Schäden mitgewirkt, sie waren aber nicht die Taktgeber«, so Zickler. Damit entspricht das Gericht im Groben den Forderungen der Anklage, die härtere Strafen auch nicht für angemessen hält. »Das würde verschleiern, dass der größte Steuerraub der deutschen Geschichte nicht von zwei Menschen begangen wurde, sondern von Hunderten«, so Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker in ihrem Plädoyer.

Die Privatbank M.M. Warburg, die von den angeklagten Geschäften profitiert hatte, muss nach dem Willen des Gerichts als sogenannte Einziehungsbeteiligte nun gut 176 Millionen Euro Steuerschulden zahlen. Dass der Fall vor den Bundesgerichtshof in Karlsruhe geht, gilt als wahrscheinlich. Um Revision zu beantragen, haben alle Beteiligten nun eine Woche Zeit.

Dass Warburg am Ende nur noch als einzige Bank hinter den Angeklagten im Verfahren sitzt, ist die überraschende Wendung, die der Mammutprozess Anfang dieser Woche nahm. Weil die Corona-Pandemie das öffentliche Leben zunehmend zum Erliegen bringt, sah sich das Gericht gezwungen, den Prozess massiv abzukürzen. Andernfalls hätten die beiden britischen Angeklagten womöglich Probleme gehabt, zurück nach Hause zu kommen. Oder: Wegen zu langer Unterbrechung hätte der Prozess nach der Krise im schlimmsten Fall komplett neu aufgerollt werden müssen - samt Anklage, Zeugen und all dem mühsamen Klein-Klein. So gliederte man vier weitere beteiligte Banken am Montag kurzerhand aus dem Verfahren aus, da man sonst wohl noch bis nach Ostern hätte tagen müssen.

Stattdessen bemüht sich das Gericht am Mittwoch also mit Nachdruck, den straffen Zeitplan samt Plädoyers und Urteil durchzuziehen - selbst die für den zweisprachigen Prozess unabdingbaren Dolmetscher müssen zuweilen auf eine Verschnaufpause verzichten. »Dass dieser Gerichtsaal eine der letzten Inseln ist, in denen das Leben noch halbwegs normal weitergeht, wäre Stoff für einen eher platten Science-Fiction-Film«, bemerkt Verteidigerin Hellen Schilling in ihrem Plädoyer, für das sie dank der kurzfristigen Terminierung eine Nachtschicht einlegen musste. »Stattdessen ist das die Realität.« Dass dies kein normaler Prozesstag ist, bleibt trotzdem unübersehbar. Zwischen Journalisten und Zuschauern bleiben jeweils Zwangsplätze frei, eine ältere Schöffin ist mit ihrem Stuhl in die letzte Ecke des Raumes gerückt, jedes Husten wird mit nervösen Blicken quittiert.

Für die vier Banken, die nun zumindest in diesem Prozess keine Zahlung fürchten müssen, ist damit jedoch keine Entwarnung gegeben. Gegen alle laufen weitere Ermittlungen, sie werden sich in anderen Prozessen verantworten müssen. »Dieses Urteil markiert nicht den Abschluss der Ermittlungen«, meint Oberstaatsanwältin Brorhilker, der an diesem Tag ein wichtiger Etappensieg in ihrem jahrelangen Kampf gegen Steuertrickser gelungen ist. »Dieses Urteil markiert den Anfang der Aufarbeitung eines massiven Problems.«

Zwar können die beiden Briten nach dem Urteil nun vorerst zu ihren Familien nach Großbritannien fliegen - ganz den Rücken zuwenden dürfen sie Deutschland allerdings nicht. In einem weiteren »Cum-Ex«-Prozess am Landgericht Wiesbaden gehören sie ebenfalls zu den Beschuldigten. Am Bonner Gericht, wo das für die Erstattung für Steuern zuständige Bundeszentralamt für Steuern sitzt, rechnet man indes mit einer weiteren Prozessflut. »Cum-Ex« wird also bleiben - auch lange nach der Corona-Krise. dpa/nd

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