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Taktieren mit dem Ölpreis
Saudi-Arabien und Russland wollen sich gegenseitig vom schwächelnden Markt verdrängen - ein riskantes Manöver
Der öffentliche Nahverkehr ist ausgesetzt, die Tore Mekkas, der Heiligen Stadt des Islams, sind geschlossen wie auch alle Moscheen und Schulen im ganzen Land. Wie fast überall auf der Welt leiden auch in Saudi-Arabien Bevölkerung und Wirtschaft an den Folgen der Corona-Pandemie. Doch die Auswirkungen auf das Königreich könnten noch besonders heftig werden, denn das Land befindet sich mitten in einem Ölpreiskrieg mit Russland.
Anfang März war ein seit drei Jahren bestehendes Abkommen zwischen Moskau und den OPEC-Staaten nach einer erfolglosen Verhandlungsrunde Moskaus in Wien gescheitert. In der Folge sanken die Preise immer weiter.
Russland ist nicht Teil des Ölkartells mit 13 Mitgliedsländern, das sich in den 60er Jahren gründete, um die Interessen der Ölfördernationen gegenüber den Käufern zu vertreten. Trotzdem wurde Moskau als weltweit drittgrößter Ölförderer zu dem Treffen eingeladen. Vor drei Jahren hatte man eine Vereinbarung zur Koordinierung des Produktionsniveaus mit den OPEC-Staaten getroffen.
Auf Grundlage dieses Abkommens schlug Saudi-Arabien, nach den USA der größte Ölproduzent und mächtigstes Mitglied der OPEC, den Teilnehmern vor, ihre Produktion gemeinsam um etwa anderthalb Millionen Barrel pro Tag zu senken, wobei Russland mit rund 500 000 Barrel pro Tag den dramatischsten Einschnitt hätte vornehmen müssen.
Riad begründete den Schritt damit, dass Asien, welches von Tausenden von Corona-Fällen hauptsächlich in China und Südkorea heimgesucht wurde, nicht mehr so viel Energie verbraucht wie noch vor wenigen Monaten. Chinas Raffinerien beispielsweise haben im vergangenen Monat ihre Ölimporte um etwa 20 Prozent gesenkt. Die geringere Nachfrage führte zu einem Rückgang des Rohstoffpreises. Die Folgen dessen sollten durch eine geringere Förderung durch die OPEC-Staaten und Russland abgeschwächt werden.
Moskau legte jedoch sein Veto ein und machte damit vor allem Kronprinz Mohammed Bin Salman, dem mächtigsten Mann in Saudi-Arabien, einen Strich durch die Rechnung. Warum Russland sich auf einmal gegen gemeinsame Absprachen stellt, ist unklar. Einige sagen, Moskau wolle, dass die Preise niedrig bleiben, um die US-Schieferölindustrie zu schädigen. Andere Beobachter vermuten, man bereite sich schon länger darauf vor, einen größeren Teil des asiatischen Marktes zu erobern.
Saudi-Arabien reagierte umgehend und verkündete am 6. März die Senkung seiner Ölpreise. Dadurch fiel der Preis pro Barrel um etwa elf auf 35 US-Dollar - der größte Ein-Tages-Rückgang seit 1991. Am vergangenen Sonntag kostete ein Barrel saudisches Rohöl der Sorte Arabic light um die 25 US-Dollar. Ein Barrel der russischen Sorte Urals hingegen lag bei nur 21,40 US-Dollar. Damit hat Moskau auf den ersten Blick eine bessere Ausgangsposition.
Mit einem günstigeren Produkt wollen sich beide Länder auf dem schwächelnden Ölmarkt durchsetzen. Neben der Preissenkung kündigte Saudi-Arabiens staatlicher Ölkonzern Aramco die Erhöhung der täglichen Fördermenge auf 12,3 Millionen Barrel bis April an.
Das birgt Risiken: Saudi-Arabien verzeichnet seit 2014 jedes Jahr ein Haushaltsdefizit. Für dieses Jahr wurde ein Defizit von 50 Milliarden US-Dollar Dollar prognostiziert - bei Ausgaben von 272 Milliarden. Durch den Fall der Ölpreise dürfte das Haushaltsloch deutlich größer werden.
Dem saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman ist die Abhängigkeit des Landes von der Ölproduktion durchaus bewusst. 2016 verkündete er die »Saudische Vision für 2030«. Mit diesem umfangreichen Reformprogramm soll die Wirtschaft der Golfmonarchie diversifiziert werden. Doch mit dem nun angezettelten Ölpreiskrieg könnten seine Pläne einen schweren Rückschlag erleiden.
Auf den ersten Blick sollten beide Nationen vorerst in der Lage sein, einen Wirtschaftskrieg zu ertragen. Saudi-Arabien verfügt über Devisenreserven von 490 Milliarden US-Dollar, Russland besitzt etwa 440 Milliarden. Solche Reserven sind wichtig; ohne sie kann eine Wirtschaft zum Stillstand kommen und ihre Importe und Schulden nicht bezahlen. Doch beim Thema Schulden wird es für Saudi-Arabien eng: Das Land benötigt laut Internationalem Währungsfonds einen Ölpreis von rund 82 US-Dollar pro Barrel, um seinen Haushalt auszugleichen. Russland genügen knapp über 40 US-Dollar.
Während die globalen Schlagzeilen vom Coronavirus und der mit der Pandemie einhergehenden Wirtschaftskrise dominiert werden, nutzte Bin Salman vergangene Woche die Chance, rund 300 Regierungsbeamte zu verhaften. Zuvor hatte er seinen Onkel Ahmed Bin Abdulaziz Al-Saud wie auch dessen Sohn Mohammed Bin Nayef einsperren lassen. Offiziell begründete er die Repressalien mit einer Antikorruptionskampagne. Beobachter sehen darin jedoch den Versuch des Kronprinzen, sich jeglicher Konkurrenz zu entledigen und seine Stellung innerhalb der regierenden Königsfamilie zu festigen.
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