Keine Parteien, nur noch Corona?

Der Bundestag trifft jetzt folgenreiche Entscheidungen unter widrigen Umständen

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie läuft Politik im Homeoffice? Oder kommen die Abgeordneten unbeirrt zu den Plenarsitzungen?

Wir haben heute eine Abstimmung über die Aussetzung der Schuldenbremse. Die kann nur mit der Mehrheit der gewählten Abgeordneten beschlossen werden. Deswegen sind ursprüngliche Ideen von Pairing - dass also nur ein bestimmter Anteil der Abgeordneten anwesend ist und trotzdem die Mehrheitsverhältnisse abgebildet werden - in dieser Woche nicht möglich gewesen. Die Linksfraktion wird weitgehend anwesend sein.

Jan Korte
Jan Korte ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Linken im Bundestag und damit für die Vertretung der Interessen seiner Fraktion im politischen Betrieb des Bundestages verantwortlich. In der jetzigen Coronakrise sind die Sitzungswochen eine besondere Herausforderung für die Abgeordneten. Mit dem 42-Jährigen sprach Uwe Kalbe.

Sind Bundestagsmitglieder nicht ohnehin vor Ansteckung sicher - so leer, wie es im Plenum meist ist?

Es wird lediglich ein sehr begrenzter Anteil aus den Fraktionen im Plenum sein, der überwiegende Teil wird das Geschehen am Bildschirm im Büro verfolgen, und dann am Mittwochnachmittag an der namentlichen Abstimmung teilnehmen. Im Plenum gilt: größtmöglicher Abstand.

Wie viele Infektionen gibt es in Ihrer Fraktion und in den anderen? Gibt es einen Krisenstab?

Zurzeit ist in unserer Fraktion kein Fall bekannt, in anderen gibt es einige Fälle. Darüber bin ich in einem stetigen Austausch mit meinen KollegInnen der anderen Fraktionen, das wurde immer sofort kommuniziert. Außerdem hat der Bundestag einen Stab eingerichtet, der Informationen zusammenträgt und weitergibt.

Termine werden jetzt meist abgesagt. Geht es auch ohne?

Meistens sind dies Abstimmungsrunden und Gespräche mit FraktionskollegInnen, MitarbeiterInnen und JournalistInnen, die auch am Telefon stattfinden können oder in Telefonkonferenzen. Im Wahlkreis sind die Auswirkungen schlimmer, Saalveranstaltungen, Lesungen oder Bürgersprechstunden in der Fußgängerzone finden nicht statt, da bleibt auch nur der Kontakt per Telefon oder Mail.

Geschäftsführer halten Abstand, der Ältestenrat ist Hochrisikogruppe. Wie funktioniert der Bundestag?

Der Kontakt zum Bundestagspräsidenten und unter den Parlamentarischen Geschäftsführern läuft aus dem Homeoffice. Wir haben uns in der letzten Sitzungswoche das letzte Mal persönlich gesehen, das wird - mit Ausnahme der einen oder anderen Begegnung im Plenum - auch erst mal so bleiben. Und zum Stichwort Hochrisikogruppe will ich nur noch einmal erwähnen, dass wir die Schutzmaßnahmen vor allem ergreifen, um zu vermeiden, dass Abgeordnete sich hier anstecken und dann das Virus in der ganzen Republik verteilen.

In dieser Woche geht es sehr kurzfristig um sehr viel Geld. Kann der Bundestag da seriös urteilen?

Das muss er, auch wenn es ein schmaler Grat zwischen gebotener Eile und der notwendigen Gründlichkeit ist. Die Fraktionen im Bundestag ziehen hier überwiegend an einem Strang, um zügig zu handeln. Bei allen Maßnahmen muss trotzdem klar sein, dass auch in der Krise Demokratie und Grundrechte nicht weniger wert sind als sonst und jeder Eingriff abgewogen und verhältnismäßig sein muss. Darauf zu achten, ist vor allem unsere Aufgabe als Linke.

Wenn die Krise anhält, werden Gesetze dann länger brauchen - wenn sie nicht Corona betreffen?

Momentan trifft das zu, da gibt es nichts zu beschönigen. Wir haben die Tagesordnung auf die wichtigsten Punkte eingedampft. Aber in der nächsten Sitzungswoche, voraussichtlich nach Ostern, werden wir das aufholen müssen.

Ausschüsse, Anhörungen, Fraktionsberatungen sind allesamt Brutquellen für Masseninfektion.

Für diese Sitzungswoche haben wir uns darauf geeinigt, sie in drei Tagen durchzuziehen und nur die federführenden Ausschüsse der wichtigen Tagesordnungspunkte tagen zu lassen. Unsere Fraktionssitzung findet als Videokonferenz statt. Vor der nächsten Sitzungswoche werden wir die Situation neu analysieren und daran angepasste Maßnahmen entwickeln.

Politische Unterschiede treten derzeit in den Hintergrund. Kennt die Politik nun keine Parteien mehr, nur noch Corona?

Nein. Schnelle Entscheidungen sind gefragt, aber keine Ja-Sager. Die Linke hat sich erfolgreich gegen die Vorschläge eines Notparlaments gesperrt und von Anfang an die kleinen Leute bei den Krisenhilfen thematisiert. Die sind nun Teil des Pakets der Bundesregierung, das wir uns genau und kritisch ansehen werden.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.