Werbung

Ein bisschen Polizeistaat

Eine Netzwoche, die sich sehr nach autoritärem Staat anfühlt

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 3 Min.

»Bitte beachten Sie, dass das Verweilen an einem Ort, Sitzen auf einer Parkbank oder einer Decke nicht der Allgemeinverfügung entspricht.« Im Leipziger Stadtteil Reudnitz hält Martin Meißner per Video eine Durchsage fest, die aus dem Lautsprecher eines Polizeiwagens durch den Lene-Voigt-Park dröhnt. In Gladbeck wird per Lautsprecher konditioniert und auch mal »Musik zum Durchhalten« gespielt. Ob das bei Europahymne und dem Steigerlied außerhalb der Grenzen von Gladbeck funktionieren kann?

Puh - da ist er nun, der Polizeistaat, den wir nicht haben wollten. Und die Menschen machen mit. Münchens Muster-Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins ist voll des Lobes: »Die Leute rufen hier nicht an, um jemanden anzuschwärzen, sondern weil sie einsehen, es geht hier um etwas Wichtiges. Und da haben sie ein großes Unverständnis für jene, die sich nicht daran halten.«

Leider deckt sich das nicht mit den Erfahrungen, die Twitter-User so verbreiten. Andreas Weber schildert: »Die Frau war gestern mit ihren beiden Töchtern im Park spazieren. Passant ruft die Polizei, nachdem er laut 1, 2, 3 gezählt hat. Die Polizei glaubt nicht, dass sie die Mutter ist. Alle drei werden nach Hause gefahren, um zu überprüfen, ob sie in einem Haushalt leben.« Ein bisschen Rassismus scheint hier und da der Antrieb zu sein, denn seine Frau sehe eben nicht typisch deutsch aus, meint Weber. Der Twitter-Account der Polizei Berlin gibt sich versonnen: »Guten Morgen Berlin. Irgendwie haben wir letzte Nacht von Ausweisen geträumt«.

Es geht aber nicht um Träume, sondern um konkrete Maßnahmen. Jurist Ulf Buermeyer von der Gesellschaft für Freiheitsrechte GFF behält die Erosion der bürgerlichen Freiheiten im Blick. Andere teilen Bilder von Schildern, die Obdachlose von Parkbänken fernhalten sollen. Unter dem Hashtag CoronaPolizei versuchen linke Abgeordnete, Erfahrungen mit Übergriffen zu sammeln - und schon wenig später kapern rechte Law-And-Order-Fanatiker den Hashtag, um der Polizei »mal Danke« zu sagen. Ob die aber immer weiß was sie tut, ist fraglich. Menschen am Cospudener See bei Leipzig werden kontrolliert. Sie dürften nicht weiter entfernt als fünf Kilometer vom See leben. Die Polizisten finden 31 Verstöße und später eine Richtigstellung der Polizei Sachsen, die einräumen muss, dass es gar keine Fünf-Kilometerregel gibt.

Jochen Bittner von der Zeit erwischt es an seinem Hauptwohnsitz in Schleswig-Holstein. Vor dem Haus parkt der Berliner Wagen seiner Freundin. »Uns wurde gemeldet, dass hier ein fremdes Auto steht.« Und über der ganzen gespenstischen Szenerie kreisen Polizeihubschrauber, die Abstände der Menschen in Parks kontrollieren.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Mehr aus: Aus dem Netz gefischt