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- Coronavirus in der Türkei
Nur Erdogan darf Wohltaten verteilen
Der türkische Präsident verbietet oppositionellen Stadtregierungen, Geld für Corona-Opfer zu sammeln
Während die Welt unter dem Coronavirus und den durch die Epidemie hervorgerufenen Folgen leidet, hat die türkische Regierung ein ganz eigenes Problem entdeckt. Erst warnte der Innenminister Soylu vor »Aktivitäten eines Parallelstaates«. Dann kam es von Erdogan persönlich: »Ein Staat im Staat ist unvernünftig«. Was war da geschehen? Die Bürgermeister der drei größten Städte des Landes, Istanbul, Ankara und Izmir, die alle der oppositionellen CHP angehören, hatten zu Spenden für Mitbürger aufgerufen, die durch die Krise ihr Einkommen verloren haben. Die Spendenbereitschaft war überraschend groß. Doch dann verbot die Regierung die Kampagne und sperrte die Konten. Eine gesetzliche Grundlage dafür gibt es zumindest nach Meinung der Opposition nicht. Doch in der Türkei dürfen Wohltaten nur aus dem Präsidentenpalast kommen - oder eben gar nicht.
Lange Zeit sah es so aus, als mache das Virus just um die Türkei einen weiten Bogen. In Tabellen mit den Zahlen von Infizierten musste man die Türkei irgendwo ganz am Ende suchen. Infektionen gab es nur bei soeben eingereisten Personen konnten an den Fingern der Hand abgezählt werden. Wie sich einige amerikanische und taiwanesische Touristen dennoch in der Türkei anstecken konnten, blieb ein Rätsel.
Viele vermuteten, dass die Zahlen geschönt seien. Indessen kann man der Regierung nicht vorwerfen, sie habe nichts getan. Bereits Ende Februar wurde die Grenze zum Iran dicht gemacht. Bis zum 14. März wurde der Verkehr mit 16 Ländern eingestellt, darunter die europäischen Staaten, aus denen die meisten Touristen in die Türkei kommen. Schulen, Kinos, Theater, Restaurants und Cafés wurden dicht gemacht. Rentner sollen nun öffentliche Verkehrsmittel, die bislang für sie kostenlos waren, nicht mehr benutzen. Steigt nun eine Rentnerin in Istanbul in den Bus, muss sie nicht nur zahlen, sondern sich auch beim Fahrer und den Fahrgästen rechtfertigen. Sie käme halt nur so zur entfernten Bank und an ihre Rente.
Allen Vorkehrungen zum Trotz brach die Seuche in der zweiten Märzhälfte auch über die Türkei herein. Erstes prominentes Opfer war der pensionierte General Aytac Yalman. Der hatte eine Schlüsselrolle bei der Kooperation mit Syrien bei der Bekämpfung der kurdischen Arbeiterpartei PKK gespielt und war zuletzt Oberbefehlshaber der türkischen Landstreitkräfte gewesen. Er starb am 15. März. Yalman wurde ohne die üblichen militärischen Ehren begraben und die wahre Todesursache wurde tagelang geheim gehalten. Nachdem seine Ehefrau und sein Arzt ebenfalls an Covid-19 erkrankt waren, bestätigte die Klinik, dass auch Yalman an der Seuche gestorben war.
Die Türkei hat nun nicht nur eine der höchsten Zuwachsraten bei den »positiven« Testergebnissen, die Krankheit trifft auch auf eine besonders fragile Volkswirtschaft. Nach der weltweiten Krise 2008 hatte das Land als Kapitalimporteur davon profitiert, dass die Zentralbanken die Geldhähne aufdrehten. Doch das rasche Wachstum auf Pump stieß schon lange vor der Coronakrise an seine Grenzen. Möglich, dass jetzt die Türkei wieder zu einem Randprofiteur neuer Stützungsmaßnahmen wird. Erdogan scheint wie im Jahr 2008 darauf zu setzen, dass andere schon gegensteuern werden. Er unternimmt fast nichts, um die heimische Wirtschaft zu stützen. Doch diesmal trifft der Abschwung auf eine Wirtschaft, in der bereits viele Firmen im Ausland hoch verschuldet sind, was 2008 nicht der Fall war. Sie dürften nun zumindest zum Teil Schwierigkeiten haben, ihre Verbindlichkeiten zu bedienen, und so etwas merken sich die Anleger.
Angesichts der Covid-19-Krise beschleunigt die Regierung ein Amnestiegesetz, um die überfüllten Gefängnisse etwas zu leeren. »Amnestie« soll es nicht heißen, es geht lediglich um vorzeitige Entlassungen. Auch sollen Drogenverkäufer und Sexualstraftäter ausgenommen sein. Die entsprechenden Straftäter können aber aus dem offenen Vollzug nach Hause beurlaubt werden. Eine Gruppe bleibt aber von den Erleichterungen ausgenommen, diejenigen die wegen Verbrechen gegen den Staat einsitzen. Mit anderen Worten, Präsidentenbeleidiger, kritische Journalisten und sonstige Oppositionelle. Die stelltretende Fraktionsvorsitzende der prokurdischen HDP nennt das Gesetz einen »Regierungsklassiker«. Für Oppositionelle gibt es immer genügend Platz in türkischen Gefängnissen. Daran ändert auch Covid-19 nichts.
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