»Die Methoden der Gestapo sind überholt«
Der Brasilianer Paulo César Fonteles de Lima beschreibt Erfahrungen als Folteropfer
Ertränken // Der Körper gestreckt / Der Kopf zurückgebogen // Gummischläuche / dringen ihm in den Mund / in die Nasenlöcher. // Wasser // Die Brust erstickt / der Körper röchelt / der Häftling zappelt. // Agonie. // Wenn der Tod sich nähert / nur ein Atemzug // nur ein Atemzug / denn der Häftling darf nicht sterben bevor / er spricht.« Der Brasilianer Paulo César Fonteles de Lima (Jahrgang 1949) beschreibt Erfahrungen von Folteropfern. Er war selbst Folteropfer, als Häftling während der seit 1964 herrschenden Militärdiktatur. Oktober 1971: Paulo Fonteles und seine schwangere Frau Hecilda werden in Brasília festgenommen. Der Jurastudent und seine Gefährtin sind Mitglieder einer illegalen »Marxistisch-Leninistischen Volksaktion«, die gegen die Diktatur rebelliert. Brasiliens Militär weiß die Oligarchie auf seiner Seite, dazu große Teile der Mittelschicht und des »einfachen« Volkes. Die Generäle sehen sich als Hüter bedrohter Werte; im Kampf gegen den »Terrorismus« glauben sie jedes Mittel legitimiert. Paulo Fonteles wird auf jede erdenkliche Art gequält, manchmal drei, fünf Tage ohne Pause, nur fünfhundert Meter entfernt vom Präsidentenpalast. (Ganz in der Nähe ahnt er seine Frau mit dem Ungeborenen.) Tritte in den Magen, in die Nieren, Stockschläge, dann Papageienschaukel, Elektroschocks, Scheinwerfer, Lärmterror, Dunkelzelle. Ein Vernehmer spricht zynisch über den »wissenschaftlichen« Fortschritt im Folter-Metier: »Die Methoden der Gestapo // Gestapo / Gestapo / Gestapo // sind überholt, / überholt // - Wir studieren / studieren / studieren // Die Heilige Inquisition / Die Heilige Inquisition // - Wir studieren die Heilige / Inquisition.« Im Juni 1973 kommt Paulo Fonteles frei. Sein Trauma bekämpft er mit Kunst. Zehn Jahre lang arbeitet der Jurist an einem Lyrikzyklus, an Versen, die das Grauen nicht verpacken, sondern dokumentarisch benennen. Die Gedichte schmerzen beim Lesen, knappe Zeilen auf jedem Blatt - eingerückt, vom Rande fortgerückt - und viel weißer Raum, der das Schweigen markiert und die Ohnmacht. Obsessiv beschwört Fonteles de Lima die Wiederkehr des immer Gleichen, er insistiert auf dem Ungeheuerlichen. So, mit beständiger Wiederholung, arbeiteten die Schinder, so arbeitet auch das Gedächtnis. »Schwanger / Wird die Frau gefoltert ...«, noch und noch einmal lesen wir etwa vom Schicksal der Gefährtin, wir erschrecken beim Umblättern, nach ein paar Seiten, wenn das Gedicht schon wieder auftaucht, fast wortidentisch, nur die Titel wechseln. Ein paar Schwachstellen gibt es in der Sammlung, verursacht durch des Autors Heilserwartung. Einen Leidensgefährten (»Zerfetzt / zerquetscht / kommt der Revolutionär in den Gang«) sieht Paulo Fonteles »auf dem Weg zu seinem Ruhm«. Und einmal bemerkt er eine Schimäre: »Ein Blitzen / Flüchtig / in weiter Ferne / Der Kampf des Volkes.« Einprägsamer sind die wahrhaft poetischen Stücke, Geschichten vom Leben: »Bauernattacke // Jemand gibt mir eine Zigarettenschachtel, / Leer. / Ein schönes Geschenk. // Mit einem abgebrannten Streichholz / Zeichne ich ein Schachbrett / Und reiße vorsichtig 32 Figuren aus. // Ich entwickle gute Züge / Und träume von Bauernattacken.« In den achtziger Jahren - Brasilien gleitet eben von der Diktatur hinüber in eine Art Demokratie - sorgt der ehemalige Häftling für Aufsehen, Paulo Fonteles, Anwalt und Kommunist. Er vertritt Landarbeiter Amazoniens im Kampf gegen gewalttätige Grundbesitzer. Für seine Genossen zieht er in das Parlament des Bundesstaates Pará. Als er auf Korruption von Amtsträgern und Begüterten stößt, äußert er Vorwürfe. Er meint es wohl ernst mit Volkskampf und neuer Moral. Am 11. Juni 1987 stirbt Paulo César Fonteles de Lima mit drei Kugeln im Kopf auf dem Rücksitz eines Autos; der Mörder, ein Militärpolizist, wird nie gefasst. Rund zwanzig Jahre nach seinem Tod erscheinen Fonteles' Gedichte nun zum ersten Mal, bei uns in Europa, nicht daheim in Südamerika. Brasilien - so beschreibt es der Herausgeber und Übersetzer des Bandes Steven Uhly in einem bemerkenswerten Essay - sei ein Land ohne Gedächtnis; die Verbrechen der Diktatur wurden nie systematisch untersucht, geschweige geahndet. Uhly erwähnt auch eine Geste der Hoffnung: Den Zyklus erhielt er von Paulo Fonteles Filho, dem seinerzeit noch ungeboren...
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