Systemrelevant

  • Mario Pschera
  • Lesedauer: 2 Min.
Illustration: Mario Pschera
Illustration: Mario Pschera

Das PEN-Zentrum Deutschland fordert, dass der Zugang zu Büchern und damit zu Wissen und Information in einer freiheitlichen Demokratie unter keinen Umständen eingeschränkt werden dürfe. Nähme man die Sonntagsreden aus Prä-Corona-Zeiten ernst, müsste diese Forderung gar nicht aufgestellt werden. Wir leben doch in einer Wissensgesellschaft, an der alle gleichberechtigt teilhaben dürfen? Die Schwächen der als Allheilmittel gepriesenen Digitalisierung des Buchmarktes wie der Klassenzimmer treten ausgerechnet in dem Moment zutage, in dem sie ihre Stärke hätte beweisen können und müssen. Homeoffice und Ausgangsbeschränkungen, geschlossene Schulen und Universitäten - wer seine Kinder mit per E-Mail verschickten Lehrmaterialien zu Hause unterrichten oder mit Fachliteratur aus Bibliotheken arbeiten muss, von ruckeligen Videosessions ganz zu schweigen, oder einfach nur die persönliche Beratung sucht, wird für diese Visionen bestenfalls ein müdes Lächeln übrig haben.

Wie wichtig Bücher und Zeitungen, gedruckte Texte also, für den Wissenserwerb und die demokratische Willensbildung sind, lässt sich ex negativo in Ungarn studieren, wo der Autokrat Viktor Orbán erst die Medienlandschaft unter seine Kontrolle gebracht hat und nun unter anderem die Texte von Imre Kertész aus den Lehrbüchern entfernen lässt. Die Lücken werden mit den Blut-und-Boden-Ergüssen faschistischer Pfeilkreuzler aufgefüllt. Die Sorge von Schriftstellern, Buchhändlern und Verlegern um die Freiheit des Wortes ist eine weltweite. Der indische Verleger Prashant Pathak hat zu Beginn dieser Woche eine Vernetzungsinitiative unter dem Namen »Publishers without Borders« (Verleger ohne Grenzen) gestartet, der sich binnen weniger Tage unzählige Verlagsmenschen aus aller Welt angeschlossen haben. Hier findet der Austausch über das Arbeiten unter Ausgangssperren statt, über Möglichkeiten, das gedruckte Wort zu verbreiten.

In Deutschland sind wir in einer vergleichsweise komfortablen Situation, mit einem dichten Netz an Buchhandlungen, Onlineshops (Amazon ist damit nicht gemeint!), öffentlichen Bibliotheken. Das ist kein weltweiter Standard. Gerade in autoritär bis diktatorisch regierten Staaten werden die Hommes et Femmes de lettres beargwöhnt, verfolgt, an Leib und Leben bedroht. Manchmal werden auch nur sämtliche Buchhandlungen geschlossen. Die georgische Verlegervereinigung fragte nach Erfahrungsberichten, wie der deutsche Buchhandel mit den Einschränkungen umgeht. Verbunden mit der Bitte um Unterstützung im Kampf um Aufhebung der Restriktionen, die von Regierung und orthodoxer Kirche nur zu gern benutzt werden, um die lästige und laute Opposition mundtot zu machen. Deutschland darf hier gern mal Vorbild sein, indem es die Forderung des PEN nach bundesweiter Öffnung der Buchhandlungen und Bibliotheken bei Einhaltung von Schutzmaßnahmen erfüllt. Solidarität ist eine Waffe. Aber Sie wissen das ja schon.

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