Drägerwerk sucht während der Pandemie dringend Fachkräfte

Ausnahmezustand mal anders: Der Hersteller von Beatmungsgeräten fährt seine Produktion hoch und muss Aufträge ablehnen

  • Dieter Hanisch, Lübeck
  • Lesedauer: 3 Min.

Medizintechnik made in Germany ist plötzlich eine Erfolgsbranche - dazu zählt auch die Drägerwerk AG & Co. KGaA (kurz: Dräger) mit Konzernsitz Lübeck, die sich derzeit vor weltweiten Aufträgen wegen der Corona-Pandemie nicht retten kann. Besonders gefragt: Beatmungsgeräte und Atemschutzmasken. Während die Gesellschaft den Lockdown praktiziert, fährt Dräger seine Produktion hoch.

Die Bundesregierung bestellte als eine der vorrangigen Maßnahmen in Sachen Corona Mitte des Vormonats 10 000 Beatmungsmaschinen für Notfallpatienten bei dem börsennotierten Familienunternehmen, das größter Industriearbeitgeber in Schleswig-Holstein mit gut 5000 Beschäftigten ist. Über den Preis drangen keine Informationen an die Öffentlichkeit. Die ersten Apparate stehen inzwischen zur Verteilung bereit. Vor wenigen Tagen teilte Dräger mit, dass auch ein Auftrag aus dem US-Gesundheitsministerium eingegangen sei: Washington orderte Schutzmasken im höheren zweistelligen Millionenbereich. Dafür wollen die ohnehin schon weltweit aufgestellten Drägerwerke mit rund 14 500 Mitarbeitern in zehn Ländern auf fünf Kontinenten in Windeseile sogar ein weiteres Fertigungswerk an der US-Ostküste errichten.

Ob Österreichs Kanzler Sebastian Kurz oder der niederländische König Willem-Alexander - Vorstandschef Stefan Dräger hat sie derzeit alle am Telefon. So etwas hat es in der Geschichte der 1889 gegründeten Firma noch nicht gegeben: Dräger kann sich die Aufträge aussuchen und muss notgedrungen sogar viele absagen.

Zur Arbeitsverdichtung kommt gerade noch das Problem hinzu, die eigene Belegschaft mit mehreren strikt getrennten Schichten virusfrei zu halten. Das ohnehin streng gesicherte Werksgelände im Lübecker Stadtteil Moisling ist wegen Corona zu einem abgeriegelten Bereich geworden. Angesichts des Produktionshochs fürchtet man sich vor einer Unterbrechung der internationalen Lieferketten. Auch deshalb wird darüber nachgedacht, künftig mit anderen Maschinenbauern und Automobilherstellern zu kooperieren.

Noch vor kurzem hatte der Arbeitsbereich Sicherheitstechnik mehr Rendite eingebracht. Die Sparte Medizintechnik stellte den schrumpfenden Teil des Umsatzes von 2,8 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Nach deutlichem Gewinnrückgang kündigte Dräger der Belegschaft Ende August 2019 schmerzliche Einschnitte an, mit denen man binnen drei Jahren die Kosten um rund 150 Millionen Euro drücken wollte. Auszubildende sollten nicht mehr wie bis dato üblich automatisch unbefristete Übernahmeverträge bekommen, hinzu kam die klare Forderung nach Einkommensverzicht.

In der Belegschaft begann es zu brodeln, die Azubis reagierten mit einem Protestbanner am Haupttor. Sie wiesen die Geschäftsführung darauf hin, dass viele Beschäftigte bald in Rente gehen und es eigentlich eher 140 Auszubildende brauche als die aktuell 85 vorhandenen. Die Chefetage schickte den Werkschutz, um die Proteste einzudämmen.

In der Folge setzten sich Geschäftsleitung, Betriebsrat und IG Metall - etwa jeder dritte Beschäftigte ist Gewerkschaftsmitglied - zusammen und handelten innerhalb eines Monats einen Kompromiss aus: Dräger akzeptierte, die Azubis weiterhin zu übernehmen, und sicherte zu, bis Sommer 2023 alle Standorte zu erhalten und auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Die Beschäftigten erklärten sich bereit, drei Jahre lang auf Tariferhöhungen zu verzichten. Ferner wurde vage vereinbart: Bei gutem Geschäftsverlauf sollen die Arbeitnehmer beteiligt werden. Genau dieser Passus könnte in der aktuellen Pandemie-Situation nun vielversprechend sein. Eine nd-Anfrage dazu beim Betriebsrat blieb aber unbeantwortet.

Bestätigt ist aber dies: Dräger sucht seit drei Wochen händeringend Fachkräfte, um die Produktion erhöhen zu können. Ausgeschrieben sind Stellen für IT-Fachleute, Elektroniker, Mechatroniker, Feinmechaniker, Lagerarbeiter, Marketingstrategen und Vertriebskaufleute.

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