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Seifenwasser und Arbeitskampf
Mónica Schlotthauer war jahrelang Abgeordnete in Argentinien. Seit vier Monaten ist sie wieder zurück in ihrem alten Job als Putzfrau. Ein Besuch am Bahnhof von Once in Buenos Aires.
Lautsprecherdurchsagen hallen von den Wänden wider. Sie kündigen die ankommenden Züge an. Stimmengewirr begleitet die Menschenmenge, die sich im Bahnhof von Once, einem Stadtteil von Buenos Aires, Richtung Ausgang schiebt. Etwas abseits steht eine kleine Frau. Im beigen Overall und mit Besen und Schaufel ausgestattet, wartet sie auf ihren Einsatz.
Wenn Argentiniens Züge so schnell wären, wie Mónica Schlotthauer über die Bahnsteige fegt, dann wären die Vorstadtpendler*innen schneller an ihrem Arbeitsplatz. Vier Jahre war sie Abgeordnete der Frente de Izquierda y de los Trabajadores (Front der Linken und der Arbeiter). Zuerst für zwei Jahre im Parlament der Provinz Buenos Aires, dann zwei Jahre im Abgeordnetenhaus, einer der beiden Kammern des Nationalkongresses. Am 10. Dezember 2019 endete ihr Mandat. Anfang Januar meldete sie sich an ihrem angestammten Arbeitsplatz als Reinigungskraft im Bahnhof Once zurück. »Meine Kollegen haben schon mit dem Mate auf mich gewartet.« Und so machte der traditionell von allen geteilte Matetee die Runde und Schlotthauer erzählte im Schnelldurchlauf von ihren Erfahrungen. Dass sie gelernt habe wie Politikmachen funktioniert und wie gute Ansätze still und leise blockiert werden. Und, dass auch im Kongress alle Männer Machos sind, »nur diplomatischer und vornehmer.«
Der erste Arbeitstag in Once sei ein Vitaminschock gewesen und Aerobic pur. »Du bist ständig in Bewegung.« Wer für eine halbe Stunde mit der quirligen Reinemachefrau unterwegs ist, merkt schnell, wie sehr ihr das gefehlt hat. »Saubermachen ist eine noble und generöse Aufgabe. Mich erdet das, und es lädt meine Batterien auf,« sagt sie. Ihre Rückkehr war auch in Argentiniens Medien ein großes Thema. Mit einem freundlichen »Hola, Señora Diputada - Hallo, Frau Abgeordnete« wird sie seither oft gegrüßt. Viele fragen sie nach Arbeitsplätzen, vor allem Frauen. Manche laufen aber auch kopfschüttelnd an ihr vorbei. »Die denken sicher, ich sei eine Idiotin. Aber das perlt ab«, sagt sie und streicht über ihren Overall.
Ihre Gewerkschaftsaktivitäten hat sie ebenfalls wieder aufgenommen. Die männlichen Chefs seien jetzt schon »sehr genervt, weil sie wissen, dass ich wieder fordern und streiten werde«. Allerdings nur für gut ein Jahr. Im März 2021 wird Schlotthauer wieder als Abgeordnete im Kongress sitzen und den jetzigen Mandatsträger ablösen. Die Frente de Izquierda y de los Trabajadores ist die einzige politische Allianz im argentinischen Kongress, die ihre Abgeordneten konsequent rotieren lässt.
Als Schlotthauer bei der Bahn anfing, durften Frauen nur putzen, Aufstiegschancen gab es nicht. Mit anderen gründete sie die Gruppe »Mujer Bonita es la que lucha« (dt.: eine schöne Frau ist eine, die kämpft) - der Name ist angelehnt an den Film »Pretty Woman« mit Julia Roberts - und sie streitet für die Chancengleichheit der Geschlechter am Arbeitsplatz. Als sie bei der Bahn anfing, arbeiteten dort 18 Frauen, heute sind sie 500. Sie besetzen Posten in den Zugleitstellen und sind Chefinnen des Zugpersonals. »Was noch fehlt, sind Lokführerinnen, aber auch da sind wir dran«, sagt Schlotthauer.
»Wir sind konfrontativ«
Eisenbahnerin und Feministin zu sein ist ziemlich schwer. Bei der Bahn, sagt sie, herrsche der wilde Machismus, ungefiltert, direkt. Den Chefs gefällt es sowieso nicht, wenn jemand die Stimme erhebt, und wenn das auch noch eine Frau tut, dann irritiert sie das extrem. Ähnlich ist es bei den Gewerkschaften. »Ein Gewerkschafter, der brüllt, ist ein ganzer Kerl. Wird eine Frau laut, ist sie entweder verrückt oder hysterisch.« Allerdings seien Schlotthauer und ihre Kolleginnen auch sehr konfrontativ. »Wir gehören schließlich zum oppositionellen Teil der Gewerkschaftsbewegung, und die Arbeitgeber gehören als Staatsbetrieb zur Regierung.«
Der Wert von Nächstenliebe
Deutsche, wenn sie sie treffen, fragen immer nach der Herkunft ihres Nachnamens. Dann erzählt sie, dass ihre Vorfahren Wolgadeutsche seien, die zwischen Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts einwanderten und sich in der nördlichen Provinz Entre Ríos niederließen. Noch immer gibt es in Entre Ríos viele Ort, in denen das Deutsch der Wolgadeutschen gesprochen wird. Auch in dem kleinen Weiler San Antonio, nahe der rund 10 000 Einwohner zählenden Kleinstadt Urdinarrain, aus dem Mónica Schlotthauer stammt.
»Mein Vater hatte 14 Geschwister, einige leben noch in San Antonio.« Als Metallarbeiter hatte ihr Vater täglich zwölf bis 14 Stunden gearbeitet. »Aber er hatte auch ein Auge und ein Ohr für seine Mitmenschen. Nächstenliebe nennt man das«, sagt Schlotthauer. Im Alter blieb er sportlich: Noch mit 70 überquerte er mit dem Fahrrad die Anden. Vor einigen Jahren kam er durch einen Unfall ums Leben. Ein Auto hatte ihn beim Fahrradtraining frontal erwischt.
Ihre Mutter war eine Einheimische. »Ich bin morocho wie meine Mutter«, sagt sie und wuschelt über ihre schwarzbraunen Haare. Deutsch wie ihre Großmutter väterlicherseits spricht Mónica Schlotthauer nicht. Ihre Großmutter hatte ihr aus einer deutschen Bibel vorgelesen. Verstanden hatte sie die Oma nicht, aber gemeinsam haben sie die Bilder angeschaut. Christlich war auch ihre Schule, die von katholischen Nonnen aus dem nahen Kloster geführt wurde. Als sie in die vierte Klasse ging, verschwand eine junge Frau, die im Kloster Zuflucht gesucht hatte. »Ich habe mitbekommen, dass Leute verschwunden sind und dass die Kirche nicht nach dem Grundsatz der Nächstenliebe gehandelt hatte.«
Der Glaube ans Gleichheitscredo
Mit zwölf kam sie in die Sekundarstufe. »Das war genau am 24. März 1976«, erinnert sie sich. Der Tag, an dem sich das Militär an die Macht putschte. 30 000 Menschen ließ das Militär verschwinden, einige davon schon vor dem Putsch. Anfang der 1980er, es waren die letzten Jahre der Diktatur, wechselte sie die Schule und kam mit der Kommunistischen Partei in Berührung. »Ich kannte die KP und deren Gleichheitscredo und schloss mit der katholischen Kirche endgültig ab.« Die Revolution im Iran war die erste, die sie wahrnahm und die gegen die Yankees aus den Vereinigten Staaten ging. Dann kamen die Freiheitsbewegungen in Zentralamerika, auch gegen die Yankees. Dann kamen Polen und die Solidarność.
Zwischen ihr und der KP begann es zu kriseln. »Die traditionelle KP Argentiniens hatte schon die Diktatur in Argentinien nie als Ganzes kritisiert. Immer wurde auch von patriotischen Militärs gesprochen.« Dass die Staatsführung der DDR damals gute Kontakte zur Militärjunta unterhielt, wusste sie nicht. Sie begann sich für die trotzkistische Partei zu interessieren, die bis zum Ende der Diktatur im Untergrund gewirkt und sich konsequent gegen die Junta gestellt hatte.
Als mit dem Ende der Diktatur deren Verbrechen ins Licht der Öffentlichkeit rückten, aber eine radikale Aufarbeitung ausblieb, sah sie im Aufbau des Sozialismus die einzig wirkliche Alternative und entschied für sich, dass der Trotzkismus die konsequenteste Strömung für diesen Weg sei. Sie schloss sich der Partido Socialista de los Trabajadores (Sozialistische Arbeiterpartei) an und wurde gewerkschaftlich aktiv. Zehn Jahre war sie Gewerkschaftsdelegierte im Krankenhaus Sanatorio Antártida. »Bereits beim ersten Kampf gegen die Arbeitsrechtsreform des damaligen Präsidenten Carlos Menem wurden alle Delegierten rausgeschmissen«, erzählt sie.
Als man ihr Jahre später eine Festanstellung als Reinigungskraft bei der Eisenbahn anbot, griff sie sofort zu. Seither pendelt sie fünfmal die Woche 80 Minuten von ihren Wohnort in Isidro Casanova, einer Kleinstadt in La Matanza, der bevölkerungsreichsten Region im Großraum von Buenos Aires, zur Arbeit. Während sie unterwegs ist, passen ihre Katzen auf das Haus auf.
Auch am 22. Februar 2012 war sie seit frühmorgens im Dienst. Um 8.33 Uhr fuhr ein Vorstadtzug ungebremst auf den Prellbock im Sackbahnhof und bohrte sich in die Vorhalle, während die ersten Waggons wie ein Akkordeon zusammengedrückt wurden. 51 Menschen starben. »Es war wie in Dantes Inferno, die Menschen waren zusammengequetscht, verletzt, eingeklemmt.« Es waren Feuerwehrleute und andere Rettungskräfte im Einsatz. »Wir kümmerten uns um die Verletzten in den hinteren Waggons, leisteten erste Hilfe, brachten Wasser. Viele Kolleginnen waren danach traumatisiert.« Nach der Tragödie wurde im Bahnhof alles neu gemacht. »Aber geh’ 500 Meter weiter raus, an den Gleisen entlang, da merkst du, dass das im Bahnhof nur Make-up ist.« Gleisbett, Weichen, Signale, alles ist veraltet.
Jetzt ist eine Modernisierung der Bahnstrecken in noch weitere Ferne gerückt. Wegen des Coronavirus ist der Bahnhof Once leergefegt. Der Präsident hat seine Landsleute unter Quarantäne gestellt. Die Züge verkehren noch, aber nur im Sonntagstakt. Wer mit ihnen unterwegs ist, gehört zu den Ausnahmegruppen, die notwendige Arbeiten verrichten. Auch das Reinigungspersonal arbeitet mit kleinster Besetzung. Die Vorbereitungen für die Zeit danach sind schon angelaufen. Dann, wenn die Quarantäne schrittweise aufgehoben wird, aber das Virus noch immer zirkuliert, wird Mónica Schlotthauers Arbeit wichtiger sein als je zuvor.
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