Fragwürdige Auslegung

Die israelische Rechte beruft sich bis heute auf die San-Remo-Konferenz. Schon bald soll das praktisch bedeutsam werden. Von Oliver Eberhardt

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Als der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu und der ehemalige Generalstabschef Benny Gantz Anfang der Woche eine große Koalition vereinbarten, stach ein Punkt des Koalitionsvertrags besonders in Auge: Am 1. Juli will Israel große Teile des Westjordanlandes annektieren. Und um die zu erwartende internationale Kritik zu kontern, hat man in der israelischen Rechten umgehend ein Rechtsgutachten aus dem Jahr 2012 hervor geholt, in dem die Konferenz von San Remo im April 1920 eine große Rolle spielt: Das Westjordanland sei gar nicht von Israel besetzt und die israelischen Siedlungen völkerrechtlich auch nicht illegal. Das stellte damals eine von Netanjahu eingesetzte dreiköpfige Kommission unter Führung von Edmond Levy fest, einem ehemaligen Richter am Obersten Gerichtshof.

Die entsprechende Argumentation geht folgendermaßen: Damals in San Remo habe man zwar vorgesehen, dass die Juden im britischen Mandatsgebiet Palästina eine Heimstatt erhalten sollen. Von einem unabhängigen palästinensischen Staat sei hingegen nicht die Rede gewesen. Deswegen sei eine Annexion auch heute aus Sicht des internationalen Rechts kein Problem.

Doch außerhalb Israels - sowie auch seitens der dortigen Linken - wird jener im Grunde spätkolonialen Konferenz, in der Frankreich und Großbritannien den Nahen Osten unter sich aufteilten, in der Regel nur eine untergeordnete völkerrechtliche Rolle zuerkannt. Am Tisch saßen Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan, auch ein Beobachter aus den USA war zumindest zeitweise zugegen. Am Ende der Tagung stand auch kein Vertrag, sondern nur eine Resolution. Die in San Remo verhandelten Mandate wurden 1922 zwar nachträglich vom Völkerbund legitimiert. Dabei vermied dieser allerdings eine Festlegung in Bezug auf einen jüdischen Staat. War doch zwei Jahre nach der Konferenz längst deutlich geworden, dass die Dinge auch in Palästina alles andere als einfach verlaufen würden. Es kam zu Protesten und Ausschreitungen gegen die Briten, aber auch gegen die jüdische Einwanderung - aus deren Mitte wiederum eigene bewaffnete Gruppen entstanden.

Ursache für diese Situation waren auch die widersprüchlichen Signale, die die Briten seit dem Ersten Weltkrieg gesendet hatten. Zunächst hatte der Hochkommissar in Ägypten, Sir Henry McMahon, 1915 dem Scherifen von Mekka die Herrschaft über große Teile der Region zugesichert, darunter auch Palästina. Zwei Jahre später schrieb dann der britische Außenminister Arthur James Balfour in einem Brief an die Zionistische Weltorganisation, seine Regierung betrachte die Errichtung einer jüdischen Heimstätte im damaligen Palästina mit Wohlwollen. In San Remo wurde diese »Balfour-Erklärung« der Resolution beigefügt, doch praktisch rückte man rasch wieder von ihr ab: Wegen arabischer Proteste beschränkte die britische Mandatsverwaltung die jüdische Einwanderung mal mehr und mal weniger.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.