Leipzig steht Schlange

Linke fokussieren sich am 1. Mai auf das Soziale - und lassen Rechte rechts liegen. Von Max Zeising

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 3 Min.

Alles neu macht der 1. Mai, zumindest der diesjährige: Auch in Leipzig begann der Tag der Arbeit ungewohnt. Statt auf die Barrikaden ging es erst einmal zum Bäcker, wenngleich nicht zum Brötchenkauf. Mehrere Hundert Aktivisten versammelten sich vor verschiedenen Bäckereien zum »politischen Schlangestehen« - einer neuartigen Protestform, die sich angesichts mangelnder Möglichkeiten in Zeiten von Grundrechtseinschränkungen zu einer echten Alternative für Demonstrierende entwickelt hat. Mit dabei die üblichen Utensilien - Shirts, Schilder, Banner. Die Aktion verlief zunächst störungsfrei, die Polizei griff bis zum frühen Nachmittag nicht ein.

Zugleich begann in der Leipziger Südvorstadt die Kundgebung der Initiative nichtaufunseremruecken, an der sich die erlaubten 25 Personen beteiligten. Anmelderin Juliane Nagel (Linke) sprach von weiteren 500 Personen im Umfeld der Kundgebung. Die Initiative setzt sich neben Änderungen im Sozial- und Gesundheitssystem für »die Vergesellschaftung aller Produktionsmittel und Überführung in demokratische Verwaltung durch die Lohnabhängigen« ein. Weil ein geplanter Protestzug zum Connewitzer Kreuz von der Versammlungsbehörde gekippt worden war, »spazierten« die Demonstranten stattdessen dorthin. Die Polizei ließ sie gewähren.

Für den Nachmittag war auf dem Augustusplatz eine Versammlung des neuen Leipziger Mai-Bündnisses angemeldet - dort also, wo sich einst die Montagsdemonstranten versammelten, um gegen die Autorität der DDR-Staatsmacht und für Grundrechte zu kämpfen. Auch diesmal war die Freiheit aufgrund der Corona-Rechtsverodnung eingeschränkt, doch ging es heute vorrangig um soziale Gerechtigkeit: »Danke heißt: Mehr Lohn, mehr Schutz, mehr Mitbestimmung!« Angesichts der sozialen Folgen der Coronakrise forderten sie die Sicherung des Einkommens für alle und ein gerechteres Gesundheitssystem, machten sich zudem für Geflüchtete, Obdachlose und Betroffene häuslicher Gewalt stark. Das Ordnungsamt hatte die Kundgebung unter Auflagen genehmigt.

In den letzten Jahren war der 1. Mai in Ostdeutschland in der öffentlichen Wahrnehmung vorrangig durch Neonazi-Aufmärsche und entsprechende Blockadeversuche geprägt. So hatten etwa die Leipziger Gruppe »Prisma«, Teil der Interventionistischen Linken, und das Aktionsnetzwerk »Leipzig nimmt Platz« in den letzten Jahren regelmäßig zum Protest gegen Neonazis am 1. Mai aufgerufen. Nun entschied sich zumindest die außerparlamentarische Linke in Leipzig zu »Aufbruch« statt Blockade. Neben »Prisma« und »Leipzig nimmt Platz« beteiligten sich zehn weitere Gruppen, darunter »Aufbruch Ost« und »Seebrücke«, am großen Leipziger Mai-Bündnis. »In den vergangenen Jahren am 1. Mai wurden vor allem in Ostdeutschland notwendige Abwehrkämpfe geführt. Die aktuelle Krise ist für uns jedoch Anlass, um für einen fairen Lastenausgleich, Umverteilung und Vergesellschaftung auf die Straße zu gehen und als gesellschaftliche Linke in die Offensive zu kommen«, sagte Jette Helberg, Presseverantwortliche des neuen Demo-Bündnisses, auf »nd«-Anfrage.

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