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Strobls Traum vom Einsatz der Bundeswehr im Innern
Baden-Württemberg wollte fast 900 Soldaten mit Polizeiaufgaben betrauen. Das teilte die Bundesregierung auf Anfrage der Linken mit
Die Anträge waren noch nicht gestellt, da wurde bereits heftig diskutiert: Ende März waren Gespräche des baden-württembergischen Innenministers Thomas Strobl mit Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (beide CDU) bekannt geworden, in denen es darum ging, wie die Armee die Polizei bei der Bewältigung der Coronakrise unterstützen könne. Strobl versuche offenbar, die aktuelle Situation zu nutzen, um »seinen alten Traum zu verwirklichen, die Bundeswehr auch im Innern einzusetzen«, sagte der Vorsitzende der Stuttgarter FDP-Fraktion, Hans-Ulrich Rülke, dem SWR. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sascha Binder, kritisierte, die Streitkräfte seien nicht für die Wahrnehmung originärer Polizeiaufgaben ausgebildet und dürften deshalb nicht eingesetzt werden.
Nun geht aus der Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag an das Verteidigungsministerium hervor, welchen Umfang diese Pläne angenommen hatten. Das Stuttgarter Innenministerium forderte demnach am 6. April in zwei Anträgen 207 und 167 Soldat*innen zur »Bestreifung einer Isolierstation und Erstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen« an.
Aus dem Regierungspräsidium Karlsruhe gingen am 1. April mehrere Anträge ein, bei denen 207 und 217 Soldat*innen als Wachpersonal für Sicherheitsaufgaben sowie die Überwachung der Quarantänemaßnahmen und die Einhaltung der Ausgangssperre angefordert wurden. Mit weiteren Anträgen des Regierungspräsidiums Stuttgart summiert sich die Zahl der angefragten Soldat*innen auf 893.
»Diese Mitteilung aus dem Verteidigungsministerium schockiert«, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion Andrej Hunko. Die schwarz-grüne Landesregierung habe »ein ganzes Bundeswehr-Bataillon« haben wollen, »um Ordnungswidrigkeiten wegen Verletzung der Ausgangssperre militärisch zu überwachen. Der Koalition in Stuttgart ist der politische Kompass abhanden gekommen.« Hunko kritisiert insbesondere den vorgesehenen bewaffneten Einsatz und die Übernahme von Polizeiaufgaben an der Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen: »Da fehlt jegliches Gespür für die Traumatisierung, die viele Geflüchtete durch Militär erlebt haben.«
Eine kleinere Zahl an Bundeswehrsoldat*innen ist aktuell in mehreren Erstaufnahmeeinrichtungen in Baden-Württemberg im Einsatz, jedoch wohl nicht mit hoheitlichen Aufgaben betraut. Das Verteidigungsministerium listet in der Antwort insgesamt 16 Anträge auf Unterstützung auf, die hoheitliche Aufgaben betreffen und überwiegend wegen fehlender Anforderungsberechtigung zurückgewiesen oder von den Antragsstellenden zurückgezogen wurden.
Meist ging es um Wach- und Sicherungsdienste an Isolierstationen, Erstaufnahmeeinrichtungen, sowie in einem Fall um den Betrieb einer Drive-in-Teststation, für die es eine Anfrage aus dem Landkreis Starnberg in Bayern gab. Die Stadt Koblenz forderte Personal zur Durchführung medizinischer Triage an.
Insgesamt sei derzeit eine mittlere bis hohe dreistellige Zahl an Soldat*innen bei der Corona-Eindämmung im Einsatz, sagte ein Sprecher der Bundeswehr am Sonntag gegenüber »nd«. Die große Zahl an Anträgen aus Baden-Württemberg sei wohl dem Krankenstand unter Beamt*innen Ende März geschuldet. Seit Mitte März seien etwa 500 Anträge auf Amtshilfe bei der Bundeswehr eingegangen. Laut dpa wurden davon 230 bewilligt. Aktuell sind maximal 15 000 Soldat*innen für den Einsatz im Rahmen der Krise verfügbar.
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