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Pandemie und Verschwörung
Wenn die Welt ins Wanken gerät, schlägt die Zeit der wahnhaften Theorien und wüsten Schuldzuweisungen. Ein Blick ins Geschichtsbuch.
»Krisenzeiten sind Verschwörungszeiten« schreibt der Historiker Wolfgang Wippermann in seinem Buch »Agenten des Bösen. Verschwörungstheorien von Luther bis heute«. Sie greifen dann besonders heftig um sich, wenn Denkstrukturen und Gewohnheiten herausgefordert werden, wenn das Leben sich radikal umgekrempelt. Kriege, Revolutionen, Naturkatastrophen und Epidemien, solche Umsturzereignisse bereiten den Boden, auf dem Verschwörungsdenken gedeiht, schreibt Karl Hepfer in »Verschwörungstheorien: Eine philosophische Kritik der Unvernunft«.
Wem es gelingt, sich und andere davon zu überzeugen, dass eine kleine Minderheit die Strippen hinter den Vorhängen des Weltgeschehens zieht, der profitiert davon. Er räumt mit der eigenen Unsicherheit in Angesicht einer ins Wanken geratenen Welt auf. Die Verschwörung bietet ein Ordnungsmuster, das es erlaubt, sich in der aus den Fugen geratenen Welt zurechtzufinden.
In Epidemien kommt es entscheidend darauf an, die Bevölkerung zur Kooperation zu bewegen. Die Wissenschaftsjournalisten Laura Spinney zeichnet in ihrem Buch: »1918 – Die Welt im Fieber: Wie die spanische Grippe die Gesellschaft veränderte« nach, wie Quarantäne, soziale Distanzierung und andere Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung die Interessen des Kollektivs über die des Individuums stellen. Dabei kann es zu Interessenkonflikten kommen. In der Bevölkerung können ganz andere Sorgen vorherrschen: Zum Beispiel die Notwendigkeit, Geld zu verdienen. Auch werden hohe Anforderungen an die Individuen gestellt. Ihr Körper und der Umgang damit ist entscheidend für den Fortgang der Epidemie. Hier könnte eine Erklärung für die Verzückungen der Verschwörungen liegen: Die Fiktion einer Fremdsteuerung entlastet von der Verantwortung der Individuen. Auch Staaten und Behörden können ihre Befugnisse, Maßnahmen zu verhängen, missbrauchen, oder Dritte für den Fortgang der Epidemien verantwortlich machen. Momentan zeigt sich das wohl am deutlichsten an dem Versuch Donald Trumps, die Verantwortung für 84.000 Corona-Tote in den USA nach China weiterzureichen.
Verschwörungsmythen sind daher auch als eine Bewältigungsstrategie zu verstehen. Angsteinflößende Ereignisse werden sinngebend »erklärt«. Kein Wunder, dass gerade todbringende Epidemien oft von solchen begleitet werden. Eine kleine Übersicht.
Mit der Pest kamen die Pogrome
Zunächst blieb Europa lange Zeit von der Pest verschont. Als die Krankheit sich 1348 von der Hafenstadt Marseille aus auf dem ganzen europäischen Kontinent ausbreitete, griffen Schuldzuweisungen um sich. In Frankreich wurden die fremden Engländer, in anderen Staaten die Bettler oder die Ärzte, die von der Pest profitierten, für die Epidemie verantwortlich gemacht. Im Gegensatz zur einsetzenden Judenverfolgung sind das aber nur Randnotizen der Geschichte. Der Verschwörungsmythos über die Juden, welche die Brunnen vergiftet und so die Pest ins Land gebracht haben, wurde im deutschen Reich zwischen 1348 und 1351 zur Rechtfertigung für die heftigsten Pogrome gegen Juden vor der NS-Zeit, wie der tschechoslowakischer Historiker František Graus herausstellte. Pogrome gegen Juden gab es in zahlreichen Städten: Überliefert sind sie au der Gegend von Genf, in Basel, in Freiburg im Breisgau, in Worms, Mainz, Koblenz, Köln, Brüssel, Trier und Königsberg. Zu einem der heftigsten Mordserien kam es in Straßburg. Dort wurde die Hinrichtung der Juden von oben angeordnet. In einer großen Prozession wurden die Juden durch die Stadt geführt und wahrscheinlich auf das Areal des jüdischen Friedhofs geführt. Dort wurde ein Scheiterhaufen errichtet und die Gemeinde zu Tode verbrannt, so rekonstruiert es der Historiker Christian Scholl.
Dass die Pest in Europa in den nächsten Jahrhunderten immer wieder auftrat und auch die jüdischen Gemeinden traf, führte keineswegs zum Verschwinden des mörderischen Antisemitismus und der Suche nach Sündenböcken. Die Prozesse gegen die Pestsalber 1630 in Mailand sind durch die Beschreibungen des italienischen Dichters Alessandro Manzoni berühmt geworden. Ihnen vorausgegangen waren Verfolgungen in Genf zwischen 1530 und 1615, in Palermo 1575 oder in Lyon 1626. Die geistige Grundlage solcher Pogrome wurde unter anderem durch den Reformator Martin Luther bereitet, 1543 heißt es in seiner Schrift »Von den Juden und ihren Lügen«: »Die Juden sind ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes Ding, dass sie 1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen und noch sind. Summa, wir haben rechte Teufel an ihnen.«
Die spanische Grippe
Wenn eine neue Erkrankung die Menschheit bedroht, bemüht sie sich, dem unfassbaren einen Namen zu geben. Je schneller das geht, desto schneller kann über die Krankheit geredet werden, sie wird kontrollierbar. Die Geschwindigkeit birgt aber Probleme. AIDS wurde zuerst als GRID-Syndrom benannt – gay-related immune deficiency. Eine Bezeichnung, die Wesen und Herkunft der Krankheit völlig falsch angibt.
Im Falle der Spanischen Grippe, die ab 1918 in der Welt wütete und mindestens 50 Millionen Menschen das Leben kostete, gab es einen regelrechten Kampf um die Namensgebung. Im Senegal nannte man die Grippe die »brasilianische Grippe«. Die Brasilianer nannten sie die »deutsche Grippe«. Als das »deutsche Gift« kursierten Gerüchte darüber, die Krankheit sei eine künstlich von der deutschen Reichswehr entwickelten Waffe. Deutsche Ärzte wiederum wollen die Bevölkerung inmitten der Kriegswirren davon überzeugen, dass die Grippe nicht besonders gefährlich sei. Sie tauften sie kurzerhand »Pseudo-Influenza«.
In einer Zeit, lange bevor die WHO einen Riegel vor solche Bezeichnungen schob, weshalb Krankheiten heute meist so langweilige Namen wie SARS oder COVID-19 tragen, glänzte einzig die Stadt Freetown in Sierra Leone mit guten Verschlägen. Man Hu, das hebräische Wort für »Was ist das« wurde hier als Benennung vorgeschlagen. Zumindest, bis man mehr über die Krankheit wisse.
Am Ende setzte sich die Bezeichnung Spanische Grippe durch. Wahrscheinlich, weil sie von den mächtigen Staaten England und Frankreich kam. Dort erfuhr man zuerst von den Infizierten in Madrid, obwohl die Krankheit schon im eigenen Land wütete. Der Grund: Spanien war im Krieg neutral, die Presse hier deutlich freier als in Frankreich und England.
Operation Infektion
Kaum eine Krankheit erlebte eine derart schillernde Geschichte der Verschwörungstheorien wie AIDS. Ein zentraler Akteur dieser Desinformationskampagne könnte der sowjetische Geheimdienst KGB gewesen sein. Operation Infektion war der Codename einer vom sowjetischen Geheimdienst durchgeführten »Aktiven Maßnahme« zur Desinformation.
Teil dieser »Aktiven Maßnahmen« war unter anderem das gezielte Streuen verschiedener Gerüchte mit dem Ziel, die USA und Israel international zu diskreditieren und damit zu schwächen.
Als Teil dieser Kampagne soll der KGB ab 1983 das Gerücht verbreitet haben, die USA hätte AIDS als biologische Kampfwaffe entwickelt. 1985 schrieb der sowjetisch-deutsche Biologe Jakob Segal eine pseudowissenschaftliche Untermauerung für diese Verschwörungstheorie. Segal lebte in der DDR und wollte seine Thesen hier verbreiten. Das Ministerium für Staatssicherheit versuchte dabei Schützenhilfe zu leisten. Jedoch: verschiedene ostdeutsche Wissenschaftler stellten Segals Thesen infrage, so zeichnen es Douglas Selvage und Christopher Nehring in ihrem Bericht für den Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik nach.
Am 21. November 1986 organisierte Niels Sönnichsen, Leiter der AIDS-Beratergruppe des DDR-Gesundheitsministeriums, ein Kolloquium. Sönnichsen berichtete später an den Minister für Gesundheitswesen der DDR, Ludwig Mecklinger: »Von den Diskussionsrednern wurde einhellig der Standpunkt vertreten, dass es an der Aggressivität des US-Imperialismus keine Zweifel gibt und von ihm zweifelsohne alle Mittel genutzt werden. Wenn jedoch die Behauptung aufgestellt wird, in den USA sei HIV gentechnologisch zur biologischen Kriegsführung hergestellt worden, müsse dies einwandfrei bewiesen werden. Andernfalls kann es für die DDR und die anderen sozialistischen Länder nur negative Auswirkungen haben.«
Das Politbüro untersagte Segal eine Veröffentlichung. Da Segal sowjetischer Staatsbürger war, konnte er aber weiterhin arbeiten. Seine Theorie, das HI-Virus sei Ergebnis militärischer Experimente in Fort Detrick gelang dann über einen ganz anderen, unerwarteten Weg an die Öffentlichkeit: über die »taz«. Die veröffentliche 1987 ein Interview mit Segal, welches internationale Aufmerksamkeit erregte und weitere Varianten der AIDS-Verschwörung hervorrief. Wie das Aids-Virus nach Fort Detrick und in die taz kam, hat ihr Redakteur Jan Feddersen einige Jahre später hier reflektiert.
Lesen Sie dazu auch ausführlich: Desinformation im Quadrat. Spekulation über Aids-Viren aus US-Labors
Das Leugnen der AIDS-Epidemie ist längst kein Phänomen der Vergangenheit. In Russland hat sich der Versuch, Betroffenen mit Falschinformationen von Therapien und lebenserhaltenden Maßnahmen abzuhalten, zu einem weitverbreiteten Problem entwickelt, schreibt Ulla Pape vom Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin.
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