Eine Maßnahme namens Satire

Velten Schäfer schenkt Oliver Welke eine Pointe

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.

Durfte man nun alleine auf einer Bank sitzen oder nicht? Wie legal war es, dabei zu lesen? War hier zwischen Zeitung und Buch zu unterscheiden? Warum war es verboten, sich im Park auf eine Decke zu setzen, während es in Ordnung ging, das Hinterteil aufs Gras zu pflanzen? Wo endete der »Nahbereich« für den legalen Seuchenspaziergang, und wieso galt es als infektionsgefährlicher, etwas mehr Flanierdistanz zwischen sich und Haustür zu bringen?

Landkreisfürsten, die auf den Karten nach den zu schließenden Grenzen ihrer Reiche fahnden, dauerpräsente Experten, die sich darüber erregen, dass Experten dauerpräsent sind, und ein Volk, das gerade den Ministerpräsidenten für den Chefbekämpfer hält, der stets die schlechtesten Zahlen hat: Die Liste ist unendlich. Seit es erste Bürgerpflicht wurde, sich täglich in widersprüchlichen Quellen über die Verbotslage zu informieren, produzierten Maßnahmenföderalismus und Notstandsöffentlichkeit kabarettistische Steilvorlagen in Serie. Doch ließ die Chancenverwertungsrate C (0) der hiesigen Gagindustrie selbst die heuer notorische Drittliga-Danebenschießertruppe von der SG Sonnenhof Großasbach aussehen wie den Supersturm aus Barcelona.

Exemplarisch hat sich die ZDF-»Heute-Show« den Titel des »Flaggschiffs« der deutschen Politsatire redlich verdient. Schon die erste Maßnahmenschwerpunktsendung sprach den Offenbarungseid jeder Satire aus: Die Regierung macht im Grunde alles richtig! In diesem Geiste ging es weiter: Vom Ausstellen fremder Potentaten als »Corona-Deppen« über das Lächerlichmachen leichtsinniger Normal- oder verschworener Aluhutbürger bis zur - Achtung! - Superpointe, es gebe auch noch andere Probleme, umschiffte man weiträumig die Situationskomik und Alltagsabsurdität dieser Monate.

»Was darf die Satire?« Das hat Tucholsky rhetorisch gefragt. Die kanonische Antwort ist aber unerheblich, wenn die Satire nichts mehr will. Man mag sich ja sagen, es sei jetzt nicht angebracht, die Disziplin der Bevölkerung zu erschüttern, nicht mal durch harmlose Witzchen. Für diesen Fall aber hat Kurt Tucholsky einen seltener zitierten Satz parat: »Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine.« Das gilt auch im Krieg gegen Corona. Und gerät Satire dergestalt selbst zur Maßnahme, wird sie im Wesen beschädigt.

Man sollte daher besagtes ZDF- und ähnliche Formate bis zu dem Tag einstellen, an dem man das Lachen nicht mehr für volksgefährdend hält. Oder man zielt endlich auf den Kern der Chose, etwa den Nachrichtenstehsatz »Das Coronavirus breitet sich in Deutschland weiter aus«. Denn dieser Dauerphrase folgen seit Wochen Zahlen, aus denen das Gegenteil hervorgeht: Die bekannten aktiven Infektionen sind rückläufig. Um nun das an ZDF-Freitagen zwischen »Heute-Journal« und »Aspekte« übliche Niveau zu treffen, könnte Oliver Welke dazu seinen patentierten Achtung-Pointe-Dackelblick aufsetzen und erläutern, dass die Subtraktion der »Genesenen« von den bestätigten Fällen direkt zu dieser Einsicht führt - während hinter ihm eine Slogantafel aufpoppt: »Lattematik für Newsredaktionen«.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.