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Ungestörtes Feiern
Sebastian Bähr über vergessene Menschen
Institutioneller Rassismus ist nicht immer leicht nachzuweisen. Manchmal zeigt er sich dann aber doch auf sehr symbolische Weise. An Weiberfastnacht, dem 20. Februar, wehten am Reichstag die Flaggen auf Halbmast. Am Tag zuvor hatte in Hanau ein extrem rechter Attentäter neun Menschen ermordet. In Berlin fand für die Opfer eine Mahnwache vor dem Brandenburger Tor statt, mehrere Beamte und Politiker nahmen daran teil.
Nicht weit entfernt wollten sich einige ihrer Kollegen jedoch die Karnevalsparty nicht verderben lassen. In der fünften Etage eines Bundestagsgebäudes veranstalteten laut Medienberichten vom Freitag am gleichen Abend mehr als 100 Mitarbeiter ein regelrechtes Gelage inklusive Polonaise und Kostümwettbewerb. Auch rassistische Kommentare sollen gefallen sein.
War die Feier eine Pietätlosigkeit, ein Zeichen fehlenden Respekts den Opfern gegenüber? Das wäre eine verharmlosende Bewertung. Den Verwaltungsmitarbeitern, Beamten und womöglich auch Abgeordneten waren die Toten von Hanau einfach egal. Man verspürte keine Empathie mit ihnen, sie gehörten für die Partygemeinschaft zu den »anderen«. Zu jenen, deren Schicksal das eigene einfach nicht berührt - egal, wie nah man beieinander lebt. Klar ist: Wenn Behördenmitarbeiter nicht mal bereit sind, auf kürzlich ermordete Migranten Rücksicht zu nehmen, werden sie sich wohl auch kaum für die Interessen der Lebenden einsetzen.
Die daraus resultierende Behandlung ist allgegenwärtig und aktuell. Etwa 30 Angehörige der Anschlagsopfer von Hanau waren am Donnerstag nach Wiesbaden gereist, um im Landtag Auskunft zum Stand der Ermittlungen zu erhalten. Im Anschluss an das Treffen zeigten sie sich enttäuscht. Viele ihrer Fragen blieben unbeantwortet. Nicht zum ersten Mal in Deutschland.
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