- Politik
- Covid-19
Ramelow: Wir müssen raus aus dem Corona-Krisenstatus
Thüringer Ministerpräsident stellt Pläne für weitere Lockerungen vor / Kritik an fehlenden Absprachen zwischen den Ländern
Erfurt. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat sein umstrittenes Vorpreschen bei der weiteren Lockerung von Corona-Beschränkungen verteidigt. Aus der geringen Zahl von Infizierten und Neuinfektionen in Thüringen müssten die Konsequenzen gezogen werden, sagte Ramelow der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt. »Wir müssen aus dem Krisenstatus raus.« Menschen könnten nicht weiter gezwungen werden, die Aufhebung von Verboten - wie zuletzt die Öffnung von Fitnessstudios - vor Gerichten zu erstreiten. Seine Strategie will Ramelow an diesem Dienstag seinem rot-rot-grünen Kabinett vorlegen. Ob bereits Entscheidungen fallen, ist offen.
Nicht infrage stehe der Infektionsschutz vor dem Coronavirus, betonte Ramelow. »Das ist kein Aufruf zur Leichtfertigkeit.« Weiterhin gelte, Abstand zu halten und dort einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, wo sich Menschen zu nahe kommen, wie in öffentlichen Verkehrsmitteln. »Ich habe niemandem gesagt, reißt euch den Mundschutz runter.«
Ramelow sprach von einer »Strategie des Ermöglichens.« Sie beinhalte nicht nur, im Juni die allgemeinen scharfen Bestimmungen zu beenden, sondern auch, dass das Land lokale Regelungen abhängig vom Infektionsgeschehen stärker unterstütze.
Er schlage vor, dass das Gesundheitsministerium mit einer Task Force und einem Expertengremium die Arbeit des bisherigen Krisenstabes des Landes übernimmt, der damit nicht mehr nötig sei. »Die Gesundheitsämter der Kommunen sollen über die lokalen Themen entscheiden«, so der Regierungschef. Wenn nötig, würde bei Infektionsherden weiterhin Quarantäne angeordnet oder Schulen geschlossen. »Die Betreuung von Infizierten hat Priorität.«
An Ramelows Strategie gibt es massive Kritik auch von den Kommunen, da ein Flickenteppich verschiedener Regelungen befürchtet wird. Mehrere Minister der rot-rot-grünen Minderheitsregierung äußerten am Montag, dass im Kabinett zwar über den weiteren Weg in der Corona-Krise beraten werde, sie aber nicht mit einem Beschluss rechneten.
Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) stellte sich gegen Ramelows Vorhaben, bald auf landesweite Corona-Schutzvorschriften zu verzichten. Innenminister Georg Maier (SPD) monierte, Ramelows Vorstoß untergrabe die Akzeptanz vieler Menschen für die bestehenden Regeln.
In Thüringen wurden zum Start in die neue Woche nur sechs neue Infektionen binnen 24 Stunden registriert. Damit wurden seit Beginn der Corona-Pandemie 2871 Infizierte gezählt, schätzungsweise 2480 davon gelten inzwischen als genesen. 152 Menschen starben seither mit oder an einer solchen Infektion. Die landesweite Infektionsrate betrug 5,8 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Im Anschluss an die Kabinett-Sitzung will Ramelow in einer Pressekonferenz über den weiteren Umgang mit Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus informieren.
Streit zwischen den Bundesländern
Ramelow und auch Sachsens CDU-geführte Regierung wollen wegen landesweit niedriger Ansteckungszahlen vom 6. Juni an statt landesweiter Regeln nur noch lokale Einschränkungen haben - abhängig von der Lage in den jeweiligen Kommunen. Der Bund mit Kanzlerin Angela Merkel an der Spitze sowie das besonders stark betroffene Bayern setzen dagegen weiter auf möglichst verbindliche und überregional geltende Anordnungen.
Kritik kam allerdings von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller. »Es gab ja eine Verabredung der Ministerpräsidenten, jetzt mindestens zu warten, bis die nächsten Beschlüsse bundesweit auch mit dem Kanzleramt gefasst werden. Er ist da jetzt ausgebrochen, und ich glaube, das ist ein gefährlicher und falscher Weg, den er geht«, sagte der SPD-Politiker am Montagabend im RBB.
Zuletzt war allerdings fraglich, ob es Bundesregierung und Länder schaffen, eine einheitliche Linie festzuzurren. Eine Runde der Staatskanzleien am Montag unter Leitung des Kanzleramts war ergebnislos geblieben.
Der Bund hatte am Montag den Ländern vorgeschlagen, dass sich wieder bis zu zehn Personen in der Öffentlichkeit treffen dürfen und die Kontaktbeschränkungen bis zum 29. Juni verbindlich in Kraft bleiben. Der Personenkreis, mit dem man generell Kontakt hat, soll demnach möglichst klein und konstant gehalten werden.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder betonte, er befürworte die Verlängerung der Kontaktbeschränkungen für weitere Wochen. Der CSU-Chef unterstützte damit am Montagabend im ZDF auf Nachfrage den vom Bundeskanzleramt vorgelegten Plan.
Söder, derzeit auch Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, betonte in der ARD zudem, dass eine »überragende Mehrheit« unter den Bundesländern für eine Fortsetzung bei Kontaktbeschränkungen und Maskenpflicht sei. »Geben wir das auf, sind wir schutzlos ausgeliefert«, sagte Söder. Mit Blick auf Thüringen betonte Söder, es sei ein »fatales Signal«, wenn die Politik den Menschen eine »falsche Normalität« einrede und »das ganze Regelwerk« außer Kraft setze.
Weitere Lockerungen in mehreren Bundesländern
Weitreichende Lockerungen gibt es allerdings kurzfristig in einigen Ländern, so etwa in Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt. Im Südwesten dürfen Freibäder, Kinos und Fitnessstudios von diesem Mittwoch (27. Mai) an wieder öffnen. Auch Theater, Konzerthallen, Opernhäuser, Kleinkunstbühnen und Tanzschulen können dann wieder Besucher empfangen. Zudem sind von Mittwoch an Veranstaltungen im Freien mit bis zu 100 Menschen erlaubt.
In Sachsen-Anhalt sollen von Donnerstag an fast alle Bereiche unter Auflagen wieder öffnen dürfen: Von Sport in geschlossenen Räumen und in Schwimmbädern über Kultur in Theatern, privaten Veranstaltungen mit größerem Teilnehmerkreis bis hin zu Kongressen soll vieles erlaubt sein. Auch Schulen und Kitas sollen von Anfang Juni an wieder für alle Kinder und Jugendliche öffnen. Agenturen/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.