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Mit blauer Sonnenbrille

Nachruf auf Jürgen Ploog, Grandseigneur des Undergrounds

  • Enno Stahl
  • Lesedauer: 5 Min.

Er war so etwas wie der letzte Protagonist des bundesdeutschen Literaturuntergrunds. Nach dem frühen Tod von Jörg Fauser 1987, dem von Hadayatullah Hübsch 2011 und ein Jahr später von Carl Weissner war Jürgen Ploog als Einziger aus jener berühmten Gruppe übrig geblieben, die einst in Frankfurt am Main Ausgangspunkt und Herz der deutschen Beat-Literatur war.

In Frankfurt lernte ich Ploog vor 32 Jahren kennen, beim sagenumwobenen »60/90-Treffen« deutscher Independent-Autoren im Mousonturm. Ich war 25 Jahre alt, am Morgen aus New York gekommen und aufgewühlt von den Erlebnissen eines dreiwöchigen Aufenthalts in der damaligen Kulturhauptstadt der Welt. Das »60/90-Treffen«, gedacht als Brückenschlag zwischen den Pop- und Untergrundautoren der 60er Jahre und den jüngeren Schreibern der beginnenden 90er Jahre mit ähnlich geartetem Interessensportfolio, erschien mir ausgesprochen lahm. Etwa 30 Leute saßen gelangweilt im Kreis, weder kam eine echte Diskussion auf, noch gab es ernsthafte Ideen für eine Kooperation. Alles in allem enttäuschend, auch wenn ich heute weiß, dass am Vorabend eine Marathonlesung stattgefunden hatte, von der noch alle ziemlich erschöpft waren.

Einen Brückenschlag gab es dennoch, ein paar der Anwesenden begründeten wenig später den »Social Beat« als neue literarische Bewegung. Und ich persönlich traf erstmals auf Jürgen Ploog, nach dem offiziellen Part im Café des Mousonturms. Er war eine beeindruckende Figur, tadellos gekleidet, wie auch später immer; indes trug er eine blaue Sonnenbrille, als einziges Insigne dafür, dass man keinen Vertreter des Großbürgertums vor sich hatte, sondern einen Querschreiber von Rang. Beeindruckend war auch seine intellektuelle Bandbreite. Anders als die Leute, die ich im Mousonturm erlebt hatte, war er auf dem Stand der damals aktuellsten Theorien, sprach über Paul Virilio und Jean Baudrillard, über die er später auch verschiedentlich essayistische Pamphlete veröffentlichte.

Natürlich war Ploog zu diesem Zeitpunkt längst eine Legende - durch die Herausgabe von »Gasolin 23«, der einzigen deutschen Underground-Literaturzeitschrift von bleibendem Wert, zumal seine Mitstreiter dabei Jörg Fauser und Carl Weissner gewesen waren. Natürlich auch durch seine Bekanntschaft mit William S. Burroughs, der in der 80er Jahren geradezu die Ikone eines Schreibens war, das der blutleeren, erklügelten Langweilerliteratur in Deutschland diametral entgegenstand. Burroughs war für Ploog immer ein Leuchtfeuer gewesen, an dem er sich orientierte. In allen seinen Prosaschriften bediente er sich jener Cut-up-Methode, die Brion Gysin Ende der 50er Jahre in Paris erfunden hatte und die Burroughs mit seinen Büchern dann weltbekannt machte: das Verfahren, das eigene und fremde Texte assoziativ miteinander verschränkt, indem man die Seiten von Texten zerschneidet und neu zusammensetzt. Ploog sagte in einem Interview, das ich 2005 mit ihm führte: »Ich denke, der Autor tritt durch diese Methode aus seiner psychologischen Identität, aus Bewusstseinsräumen, die nicht im Realen angesiedelt sind, vielleicht im Unbewussten. Hier werden die Türen geöffnet, dem Zufall oder dem Unwahrscheinlichen Zutritt zur Gestaltung verschafft.« Für Ploog hatte die Cut-up-Methode aber noch eine ganz eigene, persönliche Bedeutung, denn er war neben dem Schreiben 33 Jahre als Langstreckenpilot tätig. Die Zeit- und Raumsprünge, die Cut-ups in der Literatur leicht ermöglichen, sind ihm so zu einer zweiten Existenz geworden.

Sein Debütband »Cola-Hinterland« erschien 1969 als die erste, originäre Einzelpublikation des deutschen Literaturuntergrunds, heute ebenso legendär wie vergriffen. Der Text spart nicht mit sexuellen Konnotationen und Kraftausdrücken, sie stellen vielmehr eine prägnante Spur im stark geschnittenen Sprachstrom dar (»Ich bin in Cuntsville in ihr Kommunikations-System geraten // atomare Fotzen-Medien«). Es sind dies zeittypische Provokationen, bewusst dem bürgerlichen Literaturbetrieb entgegengeworfen. In der durchweg prüden BRD der 60er Jahre war das die effektivste und daher die bevorzugte Angriffsform; sexistische Tendenzen sind dennoch unübersehbar. Ein gewisser männlicher Chauvinismus wurde Ploog auch später hier und da vorgeworfen. Er selbst konnte das nicht verstehen, aber er schätzte Frauen sehr, die sich offen mit ihm darüber auseinandersetzten.

So ein literarisches Outlawtum hat in Deutschland allerdings seinen Preis - während man in Frankreich in dieser Pose von den Medien durchaus hofiert werden kann, schweigen sie einen hierzulande einfach tot. Ploog konnte zeitlebens nur in kleinen, oft kurzlebigen Untergrund-Verlagen publizieren, die verdiente Anerkennung blieb ihm so weitgehend versagt. Doch diese Missachtung mehrte in subliterarischen Kreisen seinen Ruhm umso mehr. Zudem bot seine Literatur mit ihren zeitlichen und räumlichen Schnitten Anknüpfungspunkte für Medien- und Kunstprojekte, ein Ergebnis war der Dokumentarfilm »Die Cut-up-Connection« (1997) von Daniel Guthmann und Raoul Erdmann.

Ploogs literarisches Werk wurde 2004 im Vorfeld seines 70. Geburtstags in dem umfangreichen Sammelband »Tanker« gewürdigt, herausgegeben von Florian Vetsch. Dieses Werk ist leider nicht einmal mehr antiquarisch erhältlich, ebenso wenig wie viele andere Veröffentlichungen Ploogs. Bei Amazon heißt es sowieso durch die Reihe: »Derzeit nicht verfügbar«. Doch zum Glück hat der stets rührige Peter-Engstler-Verlag ebenso wie Ralf Friels Moloko-Print eine ganze Reihe von Ploogs Büchern und Booklets im Programm, ja, es sind sogar neue Veröffentlichungen bei beiden Editionen angekündigt.

Nun ist er, mit 85 Jahren, von uns gegangen - der Grandseigneur des deutschen Undergrounds. Bei aller Ablehnung des konservativen Literatur-Establishments, das ihn so beharrlich ignoriert hat, und trotz seiner meilenweiten Distanz zur bürgerlichen Literaturauffassung schätzte er die gehobene Küche. In Restaurants beschwerte er sich nachdrücklich, wenn ihm dabei etwas nicht passte. Und er war sogar Mitglied bei den Rotariern. Widersprüche gehören eben zur Persönlichkeit großer Autoren - und ein solcher, die Zeit wird es zeigen, war Jürgen Ploog.

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