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Wie ein Feldwebel kommandiert
Politikwissenschaftler Gideon Botsch über Brandenburgs AfD mit oder ohne Andreas Kalbitz
Ob sich der am 15. Mai aus der AfD ausgeschlossene Landesvorsitzende und Fraktionschef Andreas Kalbitz in die Partei zurückklagt oder nicht - für die Zukunft der AfD in Brandenburg spiele das eigentliche keine große Rolle. Der Landesverband könnte mit Landtagsabgeordneten wie Birgit Bessin, Dennis Hohloch oder Daniel Freiherr von Lützow weitermachen wie bisher. Das meint Gideon Botsch, Leiter der Julius-Gumbel-Forschungsstelle am Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrum.
Seine Forschungsstelle analysiert den Zustand der Partei wissenschaftlich über öffentlich zugängliche Quellen, Informanten hat sie in der AfD keine. Live im Internet beantwortete Botsch Ende vergangener Woche Fragen zur AfD. Eingeladen dazu hatte ihn das brandenburgische Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. Geschäftsstellenleiterin Frauke Büttner stellte Botsch eingangs als »ausgewiesenen Kenner« der AfD vor.
Nach seiner Einschätzung wäre es für die AfD kein großer Verlust, wenn sie auf Kalbitz verzichten müsste. Dieser habe im Gegensatz zum Thüringer AfD-Chef Björn Höcke kein Charisma. Er sei kein kluger Stratege und auch nicht beliebt bei den Anhängern. »Er regiert mit Organisationsmacht wie ein Feldwebel, wie er das auf dem Truppenübungsplatz wahrscheinlich auch gemacht hat«, sagt Botsch über den ehemaligen Fallschirmjäger der Bundeswehr.
Damit will Botsch aber nicht gesagt haben, dass die Personalie Kalbitz unwichtig sei. Die Frage, ob er nun wirklich aus der AfD ausgeschlossen bleibt, sei symbolisch wichtig. Es gehe darum, wer sich durchsetzt: die, die ein bisschen unauffälliger agieren möchten, um einer offiziellen Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu entgehen, oder die, denen das egal ist, die es sogar als Ehre empfinden, beobachtet zu werden? Es dreht sich also darum, welchen Kurs die Partei einschlägt. Bislang, so Botsch, habe sich die AfD permanent radikalisiert. Das unterscheide sie von der österreichischen FPÖ oder vom französischen Front National. Diese starteten extrem rechts und mäßigten sich dann ein wenig, um mehr Zuspruch zu erhalten. Bei der AfD lief es umgekehrt. Sie begann neoliberal unter Bernd Lucke, wurde rechtspopulistisch unter Frauke Petry und ist unter Jörg Meuthen mittlerweile weitgehend rechtsextrem. Setzen sich Höcke und Kalbitz gegen Meuthen durch, könnte die AfD sogar noch eine offen neofaschistische Partei werden.
Der Verfassungsschutz sollte das beobachten, findet Botsch. Alles andere wäre ungerecht, da doch bereits die paar Reichsbürger beobachtet werden und das Häufchen »Rentner, die der DDR nachtrauern«, von denen eine geringere Gefahr ausgehe.
Ihr Wählerpotenzial in Brandenburg hat die AfD nach Überzeugung von Botsch schon fast ausgeschöpft, wenn sie sich nicht wandelt. 20 bis 25 Prozent der Stimmen könne sie mit ihrer gegenwärtigen politischen Ausrichtung erzielen, 23,5 Prozent waren es bei der Landtagswahl im September 2019. Mehr ginge wohl nur, wenn sie sich wenigstens oberflächlich etwas mäßigen würde. Denn die Rechten habe die AfD als Wähler bereits sicher. Nur wenige Radikale würden eine Kurskorrektur als Verrat empfinden und die Partei nicht mehr ankreuzen. Bei Rechtspopulisten, denen Neofaschismus doch eine Spur zu viel ist, könnte sie mehr abräumen, wenn sie »den Bogen nicht überspannt«.
Dass der völkisch-nationalistische Flügel der Partei im März formal seine Auflösung ankündigte, heiße nichts. Seine Zweck, rechtsextreme Strömungen »greifbar und fassbar« zu machen, habe er da bereits erreicht gehabt, erklärt Botsch. Und sogar überzogen, sei schon zu weit gegangen: »Das erwies sich als Bumerang.«
In der Brandenburger AfD hätte es den Flügel gar nicht gebraucht, ist sich der Experte sicher. Hier seien die rechtsextremen Ansichten ohnehin bestimmend gewesen. Andreas Kalbitz, Birgit Bessin und Alexander Gauland waren 2015 Erstunterzeichner der Erfurter Resolution, die als Gründungsdokument des Flügels gilt.
Unterschrieben hatte dann auch der AfD-Landtagsabgeordnete Steffen Königer, den Gideon Botsch deswegen erst für einen strammen Rechten hielt. Doch Königer gehörte wie die rechte Wochenzeitung »Junge Freiheit«, für die er einst arbeitete, zu jenen, die aus Angst um die Partei ein eher bürgerliches Erscheinungsbild wünschten, weiß Botsch heute. Der Abgeordnete verlor den Machtkampf mit Kalbitz und verließ die Partei.
Einzelne CDU-Politiker, die hofften, die AfD könnte einmal ihr Koalitionspartner sein, müssen immer wieder erkennen, dass sie sich mit dieser AfD nicht einlassen können, sagt Botsch. Das gilt umso mehr für die Linke: Der Linksfraktionschef der südbrandenburgischen Stadt Forst, Ingo Peschke, war vor gut einer Woche mit AfD-Fraktionschef Konstantin Horn Seite an Seite bei einer Pressekonferenz zum Bau eines Jugendzentrums aufgetreten. Der gemeinsame Auftritt könnte Konsequenzen für Peschke haben. Im Landesvorstand werde sein Rücktritt erwartet, sagte der Landesgeschäftsführer der Partei, Stefan Wollenberg, am Samstag. »Für uns ist ganz klar: Es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD, auf keiner Ebene und in keiner Weise«, sagte Wollenberg. Auch Bundesvorsitzende Katja Kipping hatte zuvor klar gestellt: »Für die Linke gilt: es gibt keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD.«
Politikwissenschaftler Botsch reagiert auf den Vorgang relativ gelassen. Er spricht von einem »Einzelfall« und meint, Kommunalpolitik sei schwierig in einer Gegend, in der die AfD-Fraktion in Städten und Gemeinden in der Regel die stärkste sei. Es sei dort ein Problem, Mehrheiten zu bekommen, »um auch nur eine Parkbank aufzustellen«.
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