Gepflegter Zorn

Der Antisemitismusforscher Uffa Jensen erklärt, wie Emotionen zur politischen Strategie werden - und wie man damit umgehen sollte

  • Thomas Gesterkamp
  • Lesedauer: 6 Min.

Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel »Zornpolitik«. Was ist damit gemeint?

Ich wollte verdeutlichen, wie mit der Produktion negativer Gefühle wie Zorn, Angst, Ekel oder Hass Politik gemacht wird. Wichtig war mir dabei die Erkenntnis, dass wir Gefühle nicht einfach nur haben, sondern zum Beispiel unseren Zorn auch hegen und pflegen können. Emotionen haben zugleich den Vorteil, dass man sie nicht leicht kritisieren kann: Wer Angst hat, hat eben Angst - und wer bin ich, das zu bezweifeln? So kann man Zornpolitik jeder Kritik entziehen. Das beobachte ich gerade im Rechtspopulismus als eine wichtige Strategie. Mit dem Begriff im engeren Sinne meine ich vor allem das Vorhaben, ein Unrecht zu behaupten, das ich - scheinbar oder wirklich - erlitten habe und das mich dann in das Recht setzt, zornig auf den Schuldigen zu sein.

Uffa Jensen

Der Philosoph und Historiker Uffa Jensen ist stellvertretender Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin und Gründungsmitglied des Arbeitskreises »Geschichte & Theorie«. Seine Forschungsfelder sind die Wissenschaftsgeschichte der Psychowissenschaften, transnationale Geschichte sowie die moderne Emotionsgeschichte, insbesondere die Emotionsgeschichte des Antisemitismus. Von Jensen erschienen das Buch »Zornpolitik« (Edition Suhrkamp, 208 S., br., 16 €) und »Wie die Couch nach Kalkutta kam - Eine Globalgeschichte der frühen Psychoanalyse« (Suhrkamp, 538 S., geb., 28 €).

Foto: Suhrkamp-Verlag

Die Coronakrise weckt neuen Zorn. Der »Süddeutschen Zeitung« berichteten Sie kürzlich von einem alltäglichen Erlebnis beim Spargelkauf. Was war los?

Neben mir am Verkaufsstand unterhielt sich eine Frau mit einem Mann sehr angeregt und empört über die Corona-Lage. Sie schien die Maßnahmen der Regierung, die gegen die Verbreitung des Virus gerichtet waren, falsch zu finden. Zornig erzählte sie dann, dass ein Freund von ihr einen Brief mit fünf Fragen an Frau Merkel gesendet und keine Antwort erhalten hätte. Die Kanzlerin kümmere sich nicht um die Sorgen der Menschen. Das sei doch keine Art, wie man mit den eigenen Bürgern umgehe.

Warum hat Sie das ins Nachdenken gebracht?

Mir führte das erneut vor Augen, wie Gefühle der Ablehnung entstehen und was für ein Anerkennungsbedürfnis viele Leute gegenwärtig haben. Und wie leicht sie das, wenn es nicht erfüllt wird, als Unrecht empfinden und als Grund nutzen, um zornig zu werden. Es ist doch einigermaßen absurd zu erwarten, dass eine viel beschäftigte Regierungschefin mir ihre ungeteilte Aufmerksamkeit widmet und jeden an sie gerichteten Brief persönlich beantwortet. Wenn ich jedoch fast schon auf der Suche nach einem Unrecht bin, um dann zornig werden zu können, erscheint das viel weniger sinnlos. Dann ist das eine Art Emotionstechnik, um politische Positionen zu begründen.

An vielen Orten protestieren Menschen gegen die Art, wie Entscheidungsträger die Pandemie bekämpfen. Halten Sie die »Hygiene-Demos« gegen die Einschränkung von Grundrechten wie Bewegungs- oder Versammlungsfreiheit für gerechtfertigt?

Natürlich sind Demonstrationen erlaubt und für eine Demokratie wichtig. Und dafür ist nicht relevant, ob ich mit den Inhalten einverstanden bin. Wir sollten Protest immer auch als ein drängendes Verlangen nach Debatten auffassen.

Haben die staatlichen Maßnahmen in der Anfangsphase übertrieben und provoziert?

Das mag im Einzelfall so aussehen. Es ging jedoch ganz grundsätzlich um soziale Distanz - und da war es einfach sinnvoll, zu Hause zu bleiben. Wir hatten es mit einer schwierigen, präzedenzlosen Situation zu tun, die völlig einmalige Reaktionen und drastische Einschnitte in unser Leben erforderte. Der fast komplette Shutdown von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft war eine echte historische Zäsur.

Auffällig an den Protesten ist die Präsenz von Impfgegnern. Eigentlich belegt die Pandemie doch auf drastische Weise, wie notwendig es ist, sich vorsorglich zu schützen. Stattdessen werden Impfungen noch vehementer abgelehnt. Warum?

Es geht um Kontrolle. Die Impfgegner sagen: Mein Körper gehört mir und nicht den Medizinern oder der Regierung. Es ist eine radikale - und natürlich ebenso widersinnige wie schädliche - Selbstbehauptung.

Es kursierten Fotos von Demonstranten, die Judensterne trugen mit der Aufschrift »Ungeimpft«. Was sagen Sie als Antisemitismusforscher dazu?

Unglaublicher Blödsinn, wie so vieles, was da hochgehalten wird. Ich sah vor kurzem ein Bild, wo der Virologe Christian Drosten mit dem Nazi-Schlächter Josef Mengele gleichgesetzt wurde. Das ist Verharmlosung des Holocaust, eine extreme Beleidigung und wahrscheinlich strafbar. Es ist aber für mich als Forscher auch interessant, denn es hat mit der Zornkonstellation zu tun. Man stilisiert sich durch den Judenstern als ultimatives Opfer, das künftig das Unrecht erleiden könnte, geimpft und damit körperlich verletzt zu werden. Das legitimiert zum vorauseilenden Zorn gegen die Schuldigen. So soll ein politisch potentes Gefühl produziert werden.

Wieso funktionieren Gefühle der Ablehnung über rassistische und antisemitische Denkmuster und Ausgrenzung?

Negative Gefühle lassen sich sehr gut mittels Personen produzieren, die ich als »moralisch andere« bezeichne. Also Personen, die aus der Position der Zornigen, Ängstlichen oder Neidischen als fremdartige Gruppe mit einem anderen moralischen System wahrgenommen werden, welches man selbst ablehnt. Der Mechanismus der Emotionsproduktion funktioniert dann so: Ich empfinde mich als zurückgesetzt und ungerecht behandelt, mache dafür aber lieber die »anderen« verantwortlich. Ein gesellschaftlicher Umgang damit wäre es zurückzufragen: Wieso halten Sie diese oder jene Gruppe für verantwortlich? Und was ist der eigentliche Grund für das empfundene Unrecht?

Die Maxime »Abstand halten« widerspricht dem menschlichen Grundbedürfnis, als soziales Wesen zu agieren. Kontaktverbote wirken wie ein Gift in beruflichen wie privaten Beziehungen. Ist das eine Ursache für die zornige Reaktion auf die Politik?

Ja, sicher. Als Vater zweier Kinder, die wir zeitweise 24 Stunden zu Hause betreuen mussten, habe ich viel Verständnis für Frust und Zweifel in der momentanen Situation. Es war schwer auszuhalten, dass mein vierjähriger Sohn seine Freunde viele Wochen lang nicht sehen konnte. Da erlebe ich auch zornige Momente! Aber da wir unsere Gefühle auch produzieren können, heißt das eben auch, dass ich meinem Zorn nicht einfach hilflos ausgeliefert bin.

Wieso sind die »politischen Emotionen in der Krise«, wie Sie im Schlusskapitel Ihres Buches behaupten?

Damit will ich den Eindruck beschreiben, dass das Erregungslevel der Gesellschaft krisenhaft zu steigen scheint. Das hat auch mit den Veränderungen durch das Internet und durch die sozialen Medien zu tun. Seither kann ich jederzeit meine Erregung mit Gleichfühlenden am anderen Ende der Republik teilen. Damit stehen uns mediale Techniken zur Verfügung, um uns immer stärker und gleichzeitig mit anderen zu emotionalisieren. Unsere Gesellschaften wissen noch nicht wirklich, wie sie mit diesen emotionalen Aufwallungen umgehen sollen.

Welche Strategien schlagen Sie vor, um dem politischen Zorn zu begegnen?

Grundsätzlich scheint es mir wichtig, über Gefühle zu kommunizieren. Zudem müssen wir Wissen über die Emotionslogiken generieren, die hinter der politischen Mobilisierung von Gefühlen stehen. Es hilft nicht weiter, die Menschen, die mit Emotionen politisch argumentieren, einfach als irrational abzutun. Denn dahinter stehen oft Anerkennungswünsche. Die kann eine Gesellschaft nicht einfach übergehen.
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