Wieder Tausende gegen Rassismus auf der Straße - auch gegen Bolsonaro

»Black Lives Matter« und der katatrophale Umgang mit der Covid19-Pandemie fachen den Widerstand in Brasilien an

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Tausende Menschen haben in zahlreichen Städten in Brasilien gegen die Politik des Präsidenten Jair Bolsonaro und gegen Rassismus demonstriert. Allein in der bevölkerungsreichsten Stadt São Paulo kamen am Sonntag nach Schätzung der Militärpolizei rund 3000 Demonstranten bei einem Aufmarsch für Demokratie und gegen Rassismus zusammen. Dazu hatten organisierte Fußballfans der vier großen Clubs der Stadt, soziale und schwarze Bewegungen aufgerufen.

Anders als bei Demonstrationen eine Woche zuvor kam es nicht zu Auseinandersetzungen mit Bolsonaro-Anhängern. Allerdings setzten die Sicherheitskräfte Tränengas und, nach Angaben von Amnesty International, auch Gummigeschosse ein. Einige Teilnehmer sollen versucht haben, in Richtung einer kleinen Pro-Bolsonaro-Demonstration zu laufen. Die Menschenrechtsorganisation warf der Militärpolizei vor, sie habe die Menschen von den Straßen vertreiben wollen.

In Rio de Janeiro kam es ebenfalls zu getrennten Demonstrationen beider Lager und einer hohen Präsenz der Sicherheitskräfte. Eine Teilnehmerin des Anti-Bolsonaro-Protests berichtete von mehreren Festnahmen und einer angespannten Stimmung, nachdem sich die Familie eines Zwölfjährigen, der vor kurzem bei einem Einsatz der Militärpolizei in einer Favela ums Leben gekommen war, der Demo anschloss. Auch in der Hauptstadt Brasília sowie in anderen großen Städten wie Belo Horizonte, Salvador und Manaus gab es Proteste.

Brasilien hat nach Daten der Johns-Hopkins-Universität in den USA weltweit die zweitmeisten Corona-Infektionen und die drittmeisten Todesfälle zu beklagen.

Fußballfans weiter vereint gegen Bolsonaro

Wie schon am vorvergangenen Wochenende demonstrierten auch an diesem Wochenende wieder Fußballfans vereint gegen die spalterische Politik Bolsonaros.

Das meterlange Spruchband trug die klare Botschaft »Democracia«, darunter den Beinamen »Corinthiana«: Wer sich am vergangenen Sonntag auf dem Largo da Batata in São Paulo zum Protest gegen den spaltenden Regierungsstil von Staatspräsident Jair Bolsonaro, aber auch gegen Rassismus und Polizeigewalt gegen Afrobrasilianer eingefunden hatte, war einem Aufruf gefolgt, der aus unerwarteter Ecke kam.

»Die Fan-Organisationen hatten den Mut, die Kühnheit, eine wunderbare Kundgebung zu machen, die die Seele vieler Menschen reinwäscht«, lobte Guilherme Boulos, linker Gegenkandidat Bolsonaros bei den letzten Präsidentschaftswahlen und einer von nur wenigen Politikern unter den Hunderten Demonstranten vor Ort. Sein T-Shirt trug das Gesicht von Socrates.

Das Erbe von Socrates Brasileiro Sampaio de Souza Vieira de Oliveira lebt just wieder auf, wo Anhänger Bolsonaros ungeniert Woche für Woche die Absetzung von Bundesrichtern und die Schließung des Parlaments, zwei der drei demokratischen Säulen, und gar die Rückkehr der Militärdiktatur fordern.

Anfang der 1980er-Jahre wurde ein Fußball spielender Arzt zu einer der Symbolfiguren für das Ende der zwei Jahrzehnte währenden Militärherrschaft in Brasilien. Man demonstrierte für die »Direitas Ja«, die Direktwahl des Präsidenten durch das Volk. Der Selecao-Anführer bei der WM 1982 rief damals auch die »Democracia Corinthiana« ins Leben, mit der die Spieler in seinem Klub SC Corinthians mehr Mitspracherecht bekamen.

Heute keimt die Revolte erneut in der größten Fangemeinde der Stadt. »Die Regierung scheint sich die Pandemie und die sich verschärfenden Krisen zunutze zu machen, um der Demokratie einen Schlag zu versetzen«, meldete sich Danilo Passaro in den heimischen Medien zu Wort. Der 27 Jahre alte Geschichtsstudent führt die Bewegung »Somos Democracia« (Wir sind Demokratie) an, eine Gruppierung von Corinthians-Anhängern, die zu den Kundgebungen aufruft.

Die erste Anfang Mai hatte eher privaten Charakter. Dann kamen die Fans der Rivalen Palmeiras, Santos und FC São Paulo hinzu und machten sich am letzten Maisonntag schon hörbarer. »Die faschistischen Ideen, die Äußerungen des Präsidenten hält keiner mehr aus. Irgendwas musste da explodieren. Es hätte von Studentenbewegungen kommen können oder von Gewerkschaften, aber nun geht es von Fußballfans angestiftet in die Luft«, sagte Mit-Organisator Marcos Gama, im Stadion als Palmeiras-Anhänger Erzrivale von Passaro.

Nicht, dass jetzt die riesigen Fanorganisationen der Klubs unisono Farbe bekennen, dafür sind ihre Mitglieder politisch viel zu heterogen. Aber gerade die Antifa-Gruppen unter ihnen üben vereinsübergreifend den Schulterschluss. Wenn es um Demokratie geht, bleiben die Trikots daheim im Schrank, wird eine einzige Fahne getragen. AFP/nd

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