Die Wucht der Bilder

Die Rufe nach politischer Aufklärung der rassistischen Polizeigewalt am vergangenen Wochenende werden lauter

  • Philip Blees und Claudia Krieg
  • Lesedauer: 5 Min.

»So eine große Menge von Menschen verschwindet doch nicht einfach«, zeigt sich Biplab Basu von der Beratungsstelle Reach Out gegenüber »nd« verwundert über das Vorgehen der Polizei am vergangenen Samstag bei der Demonstration gegen rassistische Polizeigewalt auf dem Alexanderplatz. »Anscheinend hat die Polizei die Strategie verfolgt, die Menschen schnell zu vertreiben«, meint Basu angesichts der Schilderungen, die ihn in den vergangenen Tagen erreicht haben. Zeug*innen und Betroffene berichten von massenhaft groben Schubsereien von Beamt*innen. Keine*r habe dabei einen Mund-Nasen-Schutz getragen. Andere seien rassistisch beschimpft worden: »Geh dahin, wo du herkommst«, »Lern erst mal Deutsch«, hätten Demonstrant*innen zu hören bekommen.

Weit über 15 000 Menschen hatten die Kundgebung unter dem Motto »Black Lives Matter« (Schwarze Leben zählen) besucht und des am 25. Mai in der US-Metropole Minneapolis von Polizisten brutal ermordeten George Floyd gedacht. Videoaufnahmen zeigen verstörende Szenen, in denen Polizeibeamte zum Ende hin mit Pfefferspray gegen junge, vor allem Schwarze Menschen vorgehen. 93 Festnahmen wurden gemeldet, es habe Flaschenwürfe gegeben und leicht verletzte Beamt*innen, so die Polizei.

Biblap Basu steht nun im Austausch mit Aktivist*innen of Color, die versuchen, die vor allem jungen Menschen zu ermutigen, von ihren Erfahrungen zu berichten. »Es gibt sehr viel Beweismaterial«, sagt eine von ihnen, die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, zu »nd«. Schwarze Menschen seien im Anschluss an die angemeldeten Kundgebungen auf ihrem Weg nach Hause, beim Verweilen mit Freund*innen oder als sie sich am Alexanderplatz etwas zu essen kaufen wollten, plötzlich angegriffen worden.

Die fehlende Bereitschaft von Polizist*innen, offensichtlich unverhältnismäßig agierende Kolleg*innen zurückzuhalten, sei erschreckend, heißt es in einer Stellungnahme, die unter anderem die Initiative Schwarze Deutsche Berlin (ISD) und der Migrationsrat unterzeichnet haben. Ein Video zeige eindeutig, wie hinzukommende Beamt*innen auf einen bereits auf dem Boden fixierten Schwarzen Mann einschlagen. »Sollte dieses Vorgehen der Polizei folgenlos bleiben, müssen wir uns vor Augen führen, was die Konsequenz gewesen wäre, hätte es so im Rahmen der (sehr weißen) Friday for Futures-Demonstrationen stattgefunden«, verweisen die Unterzeichner*innen auf den je nach Hautfarbe unterschiedlichen Umgang mit jungen Menschen.

»Für uns ist auf den veröffentlichten Videoaufnahmen der Demonstration am Samstag eindeutig rassistische Polizeigewalt erkennbar«, sagt auch Peggy Piesche, Vorstandsmitglied des Berliner Migrationsrats. Sie fordert Aufklärung von Innensenator Andreas Geisel (SPD). Bei solchen Fällen müsse die Antidiskriminierungspolitik des Senats auf den Prüfstand gestellt werden, so Piesche.

In der Landespolitik werden die Vorwürfe durchaus registriert: »Es gab Betroffene, die sich bei uns gemeldet haben«, berichtet Innenpolitiker Niklas Schrader (Linke) »nd«. Schrader kündigt eine politische Aufarbeitung an: »Wir werden mit dem Innensenator ein Gespräch führen«.

Auch eine ausführliche schriftliche Anfrage soll es geben. Da im Parlament in der nächsten Woche die Sommerpause beginnt, gibt es dort allerdings vorerst keine Möglichkeit zur öffentlichen Diskussion. Geht es nach Schrader, sollen die Überprüfung des Vorfalls sowie mögliche Konsequenzen aber keinesfalls bis zur Wiederaufnahme des parlamentarischen Betriebs dauern.

Doch nicht alle in der rot-rot-grünen Koalition sehen das so kritisch. »Den Vorwurf teile ich ausdrücklich nicht«, sagt Frank Zimmermann dieser Zeitung zur Frage nach rassistischer Gewalt durch Polizeibeamte. Die Polizei habe sich im Großen und Ganzen bei der Demonstration am Samstag defensiv verhalten und sei dann angegriffen worden. »Wir wissen, dass der Vorfall von der Polizei untersucht wird«, sagt der innenpolitische Sprecher der SPD. Wenn sich dabei nichts fundamental Neues ergebe, möchte er den Sachverhalt nicht weiter thematisieren. Einzelne kurze Szenen des Geschehens herauszugreifen, verurteilt Zimmermann: »Man muss sich das Gesamtbild angucken«, so der Sozialdemokrat.

Für Niklas Schrader bestärken die Vorfälle vor allem eins: »Die Politische Konsequenz ist die Einführung des Polizeibeauftragten«, meint der Linke-Politiker, der schon lange für die Einführung einer solchen Stelle kämpft. Das entsprechende Gesetz möchte er nach der Sommerpause endlich beschließen. Danach gelte es, für die Finanzierung des Projekts zu streiten, die durch die Milliardenausgaben im Zuge der Coronakrise gefährdet sei.

Die Innensenatsverwaltung bezweifelt hingegen, dass der oder die zukünftige Polizeibeauftragte ein probates Mittel zur Aufklärung des aktuellen Falls sein würde. Die Polizei würde schon selbst diesbezüglich ermitteln, argumentiert Sprecher Martin Pallgen. Er will die interne Überprüfung der schwerwiegenden Vorwürfe abwarten. »Dann erst kann man es auch politisch bewerten«, sagt er zu »nd«. Bis dahin wolle er sich auch nicht zu den Vorfällen äußern. »Das Material zeigt immer nur einen Ausschnitt«, merkt er zu den im Internet kursierenden Videos an.

Grünenpolitiker der Kreisverbände aus Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln haben dafür am Mittwoch die Möglichkeit einer parlamentarischen Enquete-Kommission unter Beteiligung zivilgesellschaftlicher Vertreter*innen ins Spiel gebracht: »Genug ist genug«, erklärt Aida Baghernejad aus dem Geschäftsführenden Ausschuss des Kreisverbands Friedrichshain-Kreuzberg. »Die Vorkommnisse der letzten Wochen zeigen, dass auch Berlin nicht vor Rassismus und Diskriminierung gefeit ist«.

Ihr Neuköllner Parteikollege Philmon Ghirmai, Vorstandssprecher des Kreisverbands, ergänzt mit Blick auf seinen Bezirk: »Neukölln wird seit Jahren von rechtem Terror erschüttert. Bedeutende Ermittlungsergebnisse bleiben aber bis heute aus«, so Ghirmai. Stattdessen stehe ein Polizeikommissar im Verdacht, sensible Daten mit einem der Tatverdächtigen der Neonazi-Angriffe zu teilen. »Das ist nur eines von vielen Beispielen, die dazu führen, dass die Skepsis gegenüber den Sicherheitsbehörden wächst«, so Ghirmai.

Die Polizei äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht auf eine »nd«-Anfrage zum Polizeieinsatz bei der Kundgebung auf dem Alexanderplatz. Ob die Vorfälle tatsächlich Konsequenzen haben werden, wird sich zeigen. 2018 wurden von den 1866 bei der Berliner Polizei gemeldeten Beschwerden lediglich 13 Prozent als berechtigt anerkannt.

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