»Es ist ein schmaler Grat zwischen Darstellung und Bloßstellung«
Wer fotografiert wen? Das hat häufig mit Machtstrukturen zu tun. In Ksenia Lapinas Fotoreihe »Schwester« geht es um den Blick auf Minderheiten und Mehrheiten
Was hat es mit der Fotoserie »Schwester« auf sich?
Als ich mit der Reihe anfing, wusste ich nicht ganz, was es wird. Frausein war jedoch schon immer ein Thema für mich. Diese Reihe ist ein Ausdruck von Solidarität - ich habe selbst zwei Schwestern. Wir sind uns nicht immer einig, handeln unsere Wünsche und Bedürfnisse, die teilweise unterschiedlich sind, aber immer wieder aus. Wir stehen zueinander und lieben uns, vielleicht wegen der gemeinsamen gesellschaftlichen Position. So geht es mir auch bei muslimischen Frauen.
Warum wollten Sie konkret muslimische Frauen dokumentieren?
Ich selbst komme aus einer russisch-orthodoxen beziehungsweise atheistischen Familie, aber Interesse und eine gewisse Nähe habe ich schon länger gespürt, bedingt durch meine Biografie.
Ksenia Lapina nahm Unterricht an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin und war bis 2016 Teil des Fotografenduos »fashionjunk«. In ihrer Porträtserie »Schwester« zeigt sie ausschließlich Frauen, die sich selbst als Muslimin bezeichnen oder als solche von der Gesellschaft wahrgenommen werden. Einige der Fotos sind in einem virtuellen Rundgang im Internet zu sehen. Im Interview spricht Lapina über Solidarität unter Frauen, Schwarze Fotograf*innen und das Verhältnis zwischen den Menschen vor und hinter der Kamera.
Foto: Andreas Domma
Inwiefern?
Ich bin in Usbekistan aufgewachsen, einem mehrheitlich muslimischen Land. Ich habe außerdem in einer Erstaufnahmestelle für Geflüchtete gearbeitet und kenne auch sonst muslimische Frauen. Es verletzt mich, wenn über Geflüchtete, Muslim*innen und kopftuchtragende muslimische Frauen schlecht gesprochen wird. Vor allem nach Hanau zeigt sich: Ihre Stimmen müssen gehört werden. Mich haben aber auch meine eigenen Erfahrungen als Teil einer religiösen Minderheit, als Mormonin, geprägt.
Sie sind Mormonin?
In Russland war ich ein paar Jahre Mitglied einer mormonischen Gemeinde und sehr aktiv. An einem Sonntag damals sind Menschen, vermutlich Anhänger*innen der russisch-orthodoxen Kirche, hineingeplatzt und haben auf die anwesenden Männer einprügelt. Ich habe erlebt, wie eine Mehrheit, die denkt, an die richtige Sache zu glauben, eine Minderheit verfolgt. Auch wenn ich nicht mehr zur mormonischen Gemeinde gehöre, denke ich, dass die Gemeinde in ihrem Glauben in Ruhe gelassen werden sollte. Warum entscheidet die Mehrheit, was richtig ist und was nicht?
Zu der Fotoserie gehören auch Interviews der Porträtierten.
Ihre Worte waren mir wichtig. Niemand kann ihre Ansichten so gut wiedergeben wie die betroffenen Personen selbst. Zudem bin ich keine klassische Fotografin: Ich habe russische Literatur und Sprache in Russland und Sozialpädagogik in Hamburg studiert. Worte bedeuten mir viel.
Sie haben mich für die Reihe ebenfalls fotografiert. Wie sind Sie auf die Protagonistinnen gestoßen?
Ich habe Freunde und Bekannte aus dem Studium oder von der Arbeit abgelichtet und sie gebeten, ihre Bekannten zu fragen, ob sie sich fotografieren lassen würden.
Welche Antworten haben Sie überrascht?
Mir war klar, dass es sehr unterschiedliche muslimische Leben gibt. Ich habe versucht, all das Gesagte einfach aufzusaugen. Interessant fand ich, dass sich manche innerhalb des Gesprächs selbst widersprochen haben. Zum Beispiel als eine sichtbare Muslimin sich fragte, warum das Kopftuch nicht neutral wirken könne. Für mich ist es ein Widerspruch, aber ich verstehe, was sie meint. Warum kann ein Kopftuch in einer vielfältigen Gesellschaft nicht zur Norm gehören? Warum muss sich diese Frau jeden Tag in ihrem Leben in einem Land, in dem sie geboren und aufgewachsen ist, mit der Zuschreibung auseinandersetzen, sie sei anders?
Mit ist aber erst beim Transkribieren der Interviews aufgefallen, dass diese sich aufeinander beziehen und eine Art Kaleidoskop bilden. Großartig fand ich, dass viele so ehrlich über sich reflektiert haben.
Zum Beispiel?
Leila, die aus Afghanistan kommt, meinte, sie sei zwar Muslimin und wisse über den Islam Bescheid, aber bei Weitem nicht über alles - was auch mit mangelnder Bildung zu tun habe, weil sie in Afghanistan nur einige Jahre zur Schule gehen konnte.
Vor Kurzem wurde Naomi Campbell, nach über 30 Jahren Karriere, erstmals als Model von einem Schwarzen Fotografen - Campbell Addy - fotografiert. Nur Zufall?
Für eine Fotografin ist es nicht einfach, die großen Aufträge mit guter Bezahlung zu bekommen. Zwar kenne ich persönlich erfolgreiche Fotografinnen, aber ich glaube, dass Frauen grundsätzlich andere Zugangsvoraussetzungen haben. Gleiches gilt auch für Schwarze Fotograf*innen oder Künstler*innen of Colour. Gesamtgesellschaftlich betrachtet, stellt sich die Frage: Wieso wurde Naomi Campbell bisher nur von weißen Personen fotografiert? Welche Machtstrukturen kommen hier zutage, sowohl auf rassistische als auch auf sexistische Diskriminierung bezogen? Wenn man die Geschichte der Fotografie betrachtet, fällt auf, dass Frauen eher mehr fotografiert und somit zum Objekt gemacht wurden, als selbst hinter der Kamera zu stehen. Es gibt also auch Machtverhältnisse zwischen Fotograf und Model, die asymmetrisch sind.
Gibt es da thematisch Tendenzen? Grob gesagt: Fotografieren Männer eher Objekte und Frauen lieber Menschen?
Das lässt sich nicht so allgemeingültig sagen. Ich kenne auch einen Fotografen, der Hausmann ist und seine Kinder fotografiert.
Was ist für Sie ein gelungenes Foto?
Aus meiner Sicht gibt es keine Einigkeit darüber, was »gelungen« bedeutet. Das ist auch gut so. Die kanonische Definition dessen findet zwar Gestaltungsaspekte, einen gekonnten Einsatz von Technik und den künstlerischen Ansatz ausschlaggebend. Für mich ist aber die Verbindung zwischen Fotograf*in und Model wichtiger. Wer fotografiert wen? Wie wohl fühlt sich die fotografierte Person? Ich habe an der Ostkreuzschule viel darüber diskutiert, was ein gutes Foto ausmacht.
Haben Sie auch über »Schwester« diskutiert?
Klar. Ich habe mich zum Beispiel gefragt, inwiefern es in Ordnung ist, dass ich als Nichtmuslimin muslimische Frauen fotografiere.
Manchmal ist es nur ein schmaler Grat zwischen der Darstellung einer Person und ihrer Bloßstellung. Ich habe deswegen die Protagonistinnen gefragt, ob sie mit meiner Arbeitsweise einverstanden sind, und sie von Anfang an darüber aufgeklärt, was mein Vorhaben ist. Gleichzeitig habe ich mich auch von anderen Künstler*innen, wie Ilayda Kaplan aus Berlin, inspirieren lassen.
Wie haben die Frauen auf Ihre Arbeitsweise reagiert?
Ich hoffe und glaube, sie kam gut an. Die Modelle waren neugierig, teilweise sehr vorsichtig. Eine hatte ich über Instagram kontaktiert, sie kam dann mit ihrer Mutter zum Treffen. Man würde vermuten, dass jüngere Menschen, die Selfies gewohnt sind, da entspannter sind, weil sie mit dem Medium der Fotografie vertrauter sind. Eine Ausstellung ist aber etwas anderes. Vor allem, wenn man von jemand anderem fotografiert wird: Man gibt die Kontrolle ab.
Wie sind Sie zum Fotografieren gekommen?
Mein Vater hat immer nebenbei fotografiert. Hauptsächlich uns, seine Kinder. Er hatte eine alte Zenith, also eine sowjetische Analogkamera. Wir hatten damals auch eine Dunkelkammer im Badezimmer, mit Entwicklerlösung und all den anderen Flüssigkeiten. Für mich als Kind war das ein Event - wenn die Konturen auf dem Papier immer deutlicher wurden: pure Magie! Es war jedes Mal ganz anders als das, was ich über das Abgebildete in Erinnerung hatte. Das war toll!
Warum fotografieren Sie nicht ebenfalls analog?
Man muss da so viel mit bedenken: Blende, Verschlusszeit, ISO-Zahl. Ich möchte mich aber mehr auf mein Gegenüber konzentrieren. Auch die digitalen Bearbeitungsmöglichkeiten sind ein Segen: Das Digitale verzeiht viel mehr.
Wen fotografieren Sie für Ihre nächste Serie?
Vor zwei Jahren habe ich angefangen, meine Großmutter zu fotografieren, eine sehr widersprüchliche, aufmüpfige und kluge Frau. Ich denke, meine Familiengeschichte wird diesmal mehr im Fokus stehen.
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