Die Linke versteckt sich nicht

Genossen in Cottbus einmal im Monat auf dem Platz vor der Stadthalle

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Vom Potsdamer Landtag bis zu ihrem Wahlkreisbüro in der Ostrower Straße in Cottbus und wieder zurück sind es 282 Kilometer. Doch der Abgeordneten Marlen Block (Linke) macht die lange Strecke nichts aus. Sie fährt diesen Weg mindestens einmal im Monat, meistens öfter. Unterwegs könne sie sich sogar entspannen, versichert sie. Wie das, im Auto? »Musik an und mitsingen«, verrät die 39-Jährige lachend. Schon bevor sie 2019 in den Landtag einzog und in der Linksfraktion die Betreuung von Cottbus und Potsdam-Mittelmark übernahm, hatte sie als Rechtsanwältin oft am Land- und Amtsgericht in Cottbus zu tun. Inzwischen trifft sie in der Stadt nicht mehr nur Richter, Staatsanwälte und ihre Mandanten. Jeder kann ihr künftig begegnen. Einmal im Monat will die Linke auf dem Stadthallenvorplatz eine Art Sprechstunde unter freiem Himmel abhalten. Unter dem Motto »Was Euch bewegt« können Bürger Fragen stellen oder von ihren Sorgen berichten.

Den ersten Termin gab es am 11. Juni. Bereits im letzten Jahr verbesserte die Linke ihre Sichtbarkeit in der Lausitzmetropole erheblich. Sie gab ihre alte Geschäftsstelle in der ersten Etage eines Hauses an der Straße der Jugend auf und zog in ein Ladenlokal, ein paar Schritte um die Ecke, in der Ostrower Straße 3. Wie viel mehr Leute nun einfach mal hereinschauen, das habe er unterschätzt, gesteht der Kreisvorsitzende Matthias Loehr.

Die Linke will sich nicht verstecken und braucht sich nicht zu verstecken, findet die Vize-Ortsvorsitzende Cornelia Meißner, die als Wahlkreismitarbeiterin von Marlen Block tätig ist. Die Partei habe gute Ideen.

Für Aufregung sorgte kürzlich der Vorschlag von Marlen Block, Gefängnisse abzuschaffen. Für erwachsene Straftäter kenne die Justiz gegenwärtig nur die Geld- und die Freiheitsstrafe, bedauert die Expertin. Doch es gebe nur ganz wenige gefährliche Täter, die weggesperrt werden müssten. Das Gefängnis mache Menschen nicht besser und schrecke auch nicht ab, was die hohe Rückfallquote von 60 Prozent zeige. Und die Opfer haben nichts davon, wenn der Täter im Gefängnis nicht in der Lage sei, das Schmerzensgeld zu bezahlen, zu dem er verurteilt wurde. Für Block ist die Abschaffung der Gefängnisse keine Utopie. Man müsste damit anfangen, denkt sie. Norwegen zeige, wie das gehen könnte. Dort leben Verurteilte beispielsweise auf einer Insel, auf der sie sich frei bewegen können.

Was Ingo Paeschke, der Linksfraktionschef in der Stadt Forst (Spree-Neiße) getan hat, ist nach Ansicht seiner Genossen in Cottbus alles andere als eine gute Idee gewesen. Für Cottbus und den benachbarten Landkreis Spree-Neiße gibt es in der Linkspartei den Kreisverband Lausitz, der mit 650 Mitgliedern im Landesverband Brandenburg der zweitgrößte nach dem in Potsdam ist. Ingo Paeschke hatte sich bei einem Pressegespräch in der Geschäftsstelle der Linkspartei an einen Tisch mit AfD-Fraktionschef Konstantin Horn gesetzt. Darüber schütteln sie in Cottbus nur noch den Kopf: »Wir demonstrieren hier jede Woche gegen die AfD, und der macht so etwas!« Mehrere Genossen berichten, dass sie in Cottbus niemanden in der Partei kennen, der sich darüber nicht aufrege.

Immer dienstags zeigen sich an der Stadthalle der asylfeindliche Verein Zukunft Heimat und die AfD bei einer Kundgebung. Jede Woche organisiert eine andere Gruppe aus dem Bündnis Cottbuser Aufbruch den Protest dagegen. Neulich war die Linke dran und veranstaltete mit den Grünen ein Besenballett, um den Platz symbolisch von rechter Ideologie zu säubern. Mit solchen Aktionen lassen sich junge Leute gewinnen. Aber wenn sie von Ingo Paeschke hören, dann zögern sie und sagen jetzt: »Da gehe ich lieber zu den Grünen.«

Viele AfD-Anhänger, die zu der Kundgebung an der Stadthalle kommen, seien gar nicht von hier, sondern reisen an, erzählt der Cottbuser Linksfraktionschef Eberhard Richter. Das sehe man an den Autokennzeichen. Aber bevor Richter das gesagt hat, ist ein kräftiger junger Mann über den Platz gelaufen, dessen T-Shirt einen Krieger mit Schwert und den Aufdruck »Defend Europe« zeigte - Symbolik also der extrem rechten Identitären Bewegung. Cottbus ist keineswegs frei von solchen Ansichten. Die AfD erzielte hier bei der Kommunalwahl 2019 satte 22 Prozent, die Linke nicht einmal mehr 14 Prozent.

Doch die Genossen geben nicht auf und denken nicht nur an sich, sondern an Menschen in Not. Die Geschäftsstelle gab in der Coronakrise Schutzmasken gegen eine Spende ab und ließ das Geld der örtlichen Tafel zukommen, die Bedürftige mit Lebensmitteln versorgt.

Unterstützt wird auch der 2010 gegründete Cottbuser Verein Chile für die Welt. 200 Menschen, die nach dem Sturz des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende 1973 vor der Diktatur von General Augusto Pinochet geflüchtet waren, hatten einst in der Stadt Zuflucht gefunden. Etwa die Hälfte von ihnen kehrte in die Heimat zurück, als dort wieder demokratische Verhältnisse herrschten. Andere blieben in Cottbus, so auch Hebamme Carmen Gennermann. In Chile war sie im Untergrund dem kommunistischen Jugendverband beigetreten. 1977 kam sie in die DDR. »Wir waren Luxusflüchtlinge«, erinnert sich die 63-Jährige. »Wir bekamen eine Wohnung und einen Arbeitsplatz.«

84 Mitglieder zählt der Verein der Chilenen, darunter Kinder und Enkel, die hier geboren sind. Alle machen sich jetzt Sorgen, weil die Coronakrise in Chile arme Menschen so hart trifft. Deshalb sammeln sie Geld für eine Suppenküche in Santiago - auf Einladung der Linken auch bei »Was Euch bewegt« vor der Stadthalle.

Spendenkonto: Chile für die Welt Cottbus e. V., DE39 1805 0000 3000 0640 35, Stichwort: Suppenküche.

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