Ein Akt der Verzweiflung

Aufstand in Sobibór

  • Ernst Reuß
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist nicht nur der Name eines furchterregenden Vernichtungslagers der Nazis, sondern auch Synonym für Widerstand: Sobibór. Am 14. Oktober 1943 kam es dort, im deutsch besetzten Polen, zu einem Aufstand, bei dem mindestens zwölf SS-Männer und zehn ukrainische Helfer getötet wurden. Danach wurde das Lager von den Nazis dem Erdboden gleichgemacht, alle Spuren der Verbrechen sollten ausgelöscht sein. Die Rote Armee war nicht mehr weit.

Die Verzweiflungstat wurde von ungefähr 50 Arbeitshäftlingen angeführt. Von den 550 Häftlingen zum Zeitpunkt des Aufstands sollten nur 53 überleben. Einer von ihnen war der 1906 in Chełm/Polen, unweit der ukrainischen Grenze, geborene Kalmen Wewryk. 1984 verfasste er auf Jiddisch seine Autobiografie, die 1999, zehn Jahre nach seinem Tod, auf Englisch in Kanada erschien: »To Sobibór and Back. An Eyewitness Account«. Es ist einem kleinen Berliner Verlag zu danken, diesen Augenzeugenbericht nun endlich auch auf Deutsch ediert zu haben, ergänzt um einen Beitrag von Andreas Kahrs und Steffen Hänschen zum Ghetto Chełm und dem Vernichtungslager Sobibór.

Kalmen führte ein einfaches Dasein als Tischler. Seine Frau Jocheved hatte ihm einen Sohn namens Jossele und eine Tochter, Pesha, geboren. 1942 wurden die drei von den Nazis verschleppt, Kalmen sah sie nie wieder. Die Mehrzahl der einst 12 000 Juden aus Chełm wurde ermordet.

Seine Ankunft in Sobibór beschrieb der Überlebende wie folgt: »Als der Zug das Lager erreichte, konnten wir die SS brüllen hören. Wir rochen den Gestank von verbrennendem Menschenfleisch. Ein großes Tor wurde geöffnet, um den Zug in das Lager einzulassen, dann kam er zum Stehen ... Es gab viele Ukrainer in Sobibor - schreckliche Mörder. Außergewöhnliche Sadisten ... Die Ukrainer trieben uns wie Tiere vor sich her, peitschten und schlugen auf uns ein, brüllten ›Parshive zyd‹ (dreckige Juden) und beschimpften uns mit allen möglichen anderen Flüchen.«

Im Zuge des Aufstands im Oktober 1943 gelang Kalmen die Flucht in die Wälder. Während die meisten flüchtenden Häftlinge von ihren deutschen, polnischen und ukrainischen Verfolgern wieder eingefangen und sofort getötet wurden, stieß Wewryk auf sowjetische Partisanen, denen er sich anschließen konnte: »Lange war ich weniger als eine Kakerlake auf dieser Erde gewesen ... Und jetzt konnte ich zurückschlagen! Ja, ich könnte fallen, doch es wäre im Kampf ... Ich war zum ersten Mal seit Langem glücklich!« Und er merkt, verständlich aus seiner damaligen Sicht, an: »Lassen Sie sich nichts anderes einreden - Rache ist tatsächlich süß.«

1946 heiratete Kalmen erneut - eine Auschwitz-Überlebende, mit der er wieder zwei Kinder bekam. Er fühlte sich in seiner Heimat Polen allerdings wegen erneut aufkeimendem Antisemitismus, für den zum Beispiel das Pogrom von Kielce steht, bald unwohl und emigrierte mit der neuen Familie 1956 nach Paris, von wo er zwölf Jahre später nach Kanada auswanderte.

Kalmen Wewryk: Nach Sobibor und zurück. Hg. v. Bildungswerk Stanisław Hantz. A. d. Engl. v. Ekpenyong Ani. Metropol, 176 S., br., 14 €.

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