Wie das Kaninchen vor der Schlange

Die Gewerkschaften wirken in der Lufthansa-Krise hilflos und uneins. Sie appellieren an den Geist der längst verflüchtigten Sozialpartnerschaft

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Tauziehen um die Zukunft der 138 000 Lufthansa-Beschäftigten naht die Stunde der Wahrheit. Konzernchef Carsten Spohr strebt den Abbau von bis zu 22 000 Vollzeitstellen an. Dies betrifft rund 26 000 Angestellte, da viele von ihnen in Teilzeit arbeiten. Ursprünglich wollte Spohr schon am Montag nach separaten Verhandlungen mit der DGB-Gewerkschaft Verdi, dem Pilotenverband VC und der Flugbegleiterorganisation UFO Vereinbarungen über schmerzhafte Zugeständnisse der Belegschaft an das Unternehmen abschließen. Doch Verdi teilte da mit, dass man erst nach der Aktionärsversammlung weiterverhandeln wolle. Und auch die Verhandlungen mit den beiden anderen Gewerkschaften kamen bis Redaktionsschluss am Mittwoch zu keinem Abschluss.

Nach Spohrs Plan sollen bei der außerordentlichen virtuellen Hauptversammlung diesen Donnerstag die Aktionäre grünes Licht für das unlängst mit der Bundesregierung ausgehandelte milliardenschwere Rettungspaket geben. Doch nun bereitet die Intervention des Großaktionärs Heinz Hermann Thiele, der seinen Lufthansa-Anteil kurzerhand auf 15,52 Prozent aufstockte und das Rettungspaket kritisiert, vielen Gewerkschaftern schlaflose Nächte. Schließlich ist Thiele ein ausgesprochener Gewerkschaftshasser und hat Erfahrung mit Tarifflucht: Als Chef von Knorr Bremse kündigte er schon in den 2000erJahren die Tarifverträge mit der IG Metall auf. Der Konzern hat etliche Betriebe erworben. »Sie kaufen, verschlechtern die Arbeitsbedingungen, rationalisieren und verlagern die Fertigung ins Ausland. Das darf keine Schule machen«, so Sebastian Roloff, Ex-IG-Metall-Konzernbetreuer für Knorr Bremse. Für die Betroffenen bedeutete die Tarifflucht eine Arbeitszeiterhöhung von 35 auf 42 Wochenstunden - ohne Lohnausgleich.

Aus Angst vor einem Veto Thieles und dem Scheitern des Rettungspakets warben UFO und VC bis zuletzt bei Belegschaftsaktionären um Zustimmung zum Paket. Wer nicht bei der virtuellen Hauptversammlung abstimmen könne, solle sein Stimmrecht an UFO übertragen. So werben die Gewerkschaften nun für ein Paket, das einen massiven Belegschaftsabbau ermöglicht. Denn der Bund verzichtet zum Leidwesen vieler »Lufthanseaten« mit seiner stillen Beteiligung weitgehend auf eine Einflussnahme und Gegenleistungen für die zugesagten Milliarden etwa in Form des Erhalts von Beschäftigung und Tarifstandards. »Angst, Unruhe und Empörung machten sich breit, weil Unternehmen, denen staatliche Hilfen in Milliardenhöhe gewährt werden, im selben Atemzug Beschäftigungsabbau und Gehaltskürzungen ankündigten«, heißt es in einer von Verdi und VC gestarteten Onlinepetition an Bundeskanzlerin Angela Merkel. »Bei staatlichen Hilfen für den Luftverkehr erwarten wir die Sicherung der Arbeitsplätze und Einkommen.«

Fünf vor zwölf besinnen sich die Gewerkschaften nun auf öffentlichen Protest, Aktionismus und zaghaften Schulterschluss. Doch der Protest bleibt ebenso verzettelt wie die Gewerkschaftsszene in der Luftverkehrsbranche. Für Donnerstag ruft UFO zur Kundgebung pro Rettungspaket vor dem Frankfurter Lufthansa Aviation Center auf. Hinter der Glasfassade wird Spohr zeitgleich die Aktionäre online um ihre Zustimmung bitten.

Ein zarter Hauch von Schulterschluss aller Beschäftigten der Branche und Gegenwehr war am vergangenen Freitag bei mehreren Kundgebungen von Verdi zu spüren. »Diese Krise legt offen, was in unserem System schief läuft«, rief Verdi-Aktivistin Katharina Horn den Anwesenden im Frankfurter Flughafen zu, die bei Lufthansa-Töchtern, anderen Airlines, dem Flughafenbetreiber Fraport oder ausgegliederten und privatisierten Bodendienstfirmen in Lohn und Brot stehen. »Die Angst geht um. Keiner von uns weiß, wie lange er oder sie noch in unserem gemeinsamen Wohnzimmer FRA täglich sein Bestes geben kann«. Eine Ryanair-Beschäftigte beschrieb, wie der irische Billigflieger mit seiner Politik des Heuerns und Feuerns in der Krise alle mühsam erkämpften Tarifverträge zunichtemachen und mit Sozialdumping die Löhne auf ein Hungerniveau drücken wolle. Ryanair sei finanziell gut ausgerüstet und könne aus der Krise als Gewinnerin im europaweiten Verdrängungswettbewerb hervorgehen, so ihre Warnung.

Ob sich Spohr hinter den Kulissen mit Thiele auf einen Deal zulasten der Belegschaft geeinigt hat, wird sich am Donnerstag zeigen. Jedenfalls ist auch Spohr kein Garant eines einheitlichen Lufthansa-Konzerns, sondern treibende Kraft bei der Filetierung. Die Töchter Germanwings und SunExpress werden jetzt separat abgewickelt. Das Management hat den Verkauf der für die Bordverpflegung zuständigen Lufthansa-Tochter LSG Sky Chefs an die Gategroup eingeleitet. Der Deal ist aber noch nicht endgültig vollzogen. »LSG-Verkauf und Konzernzerschlagung stoppen! Lufthansa verstaatlichen!«, so lautete die Aufschrift auf Plakaten von LSG-Beschäftigten bei der jüngsten Frankfurter Demonstration. Die Betroffenen wehren sich bis zuletzt gegen den Ausverkauf und kritisieren, dass Verdi bereits einen Tarifvertrag mit Gategroup abgeschlossen hat, der viel schlechtere Bedingungen vorsieht als der bisherige Lufthansa-Tarif.

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