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Die große Verteilungsfrage

Am Dienstag entscheidet die Mindestlohnkommission, wie es weitergeht.

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Ende sei es eine Verteilungsfrage, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell in einem Gespräch mit der Schauspielerin Friederike Kempter, das am Mittwochabend live via Youtube übertragen wurde. »Ist das Geld in den Taschen der Arbeitnehmer oder ist das Geld in den Taschen der Unternehmen?« Dabei ging es in dem Talk um das Minimum, das die Arbeitnehmer für ihre Arbeit bekommen müssen: den gesetzlichen Mindestlohn. Seit Anfang 2015 gibt es ihn. Derzeit beträgt er 9,35 Euro brutto die Stunde.

Alle zwei Jahre streitet die Mindestlohnkommission über die künftige Höhe der Untergrenze. 2020 ist es wieder soweit. Bis Dienstag muss das Gremium der Bundesregierung einen Bericht vorlegen, in dem es vorschlägt, wie es ab 2021 mit dem Mindestlohn weitergehen soll. Geleitet wird die Kommission derzeit vom Ex-RWE-Vorstands- und Aufsichtsratsmitglied Jan Zilius. Weitere Mitglieder sind jeweils drei Vertreter des Arbeitgeber- und Arbeitnehmerlagers. Für die Unternehmer ist das etwa der Chef des Arbeitgeberverbandes BDA, Steffen Kampeter, für die Beschäftigten ist Körzell als Mitglied der Gewerkschaften dabei. Die beiden Ökonomen Lars Feld und Claudia Weinkopf sollen das Gremium wissenschaftlich beraten, haben aber kein Stimmrecht. Eigentlich gibt es klare Regeln, nach denen die Kommission entscheiden soll: So soll sie sich »bei der Festsetzung des Mindestlohns nachlaufend an der Tarifentwicklung« orientieren, wie es im entsprechenden Gesetz heißt. Doch lässt dies wiederum genügend Interpretationsspielraum für ordentlich Streit.

Seit geraumer Zeit trommeln die Gewerkschaften für eine Anhebung auf zwölf Euro. Ihr Argument: Der derzeitige Mindestlohn reicht nicht zum Leben. Gemessen am mittleren Einkommen von Vollzeitbeschäftigten liegt er derzeit bei 45,6 Prozent, ein armutsfester Lohn läge per Definition jedoch bei 60 Prozent, was 12,21 Euro bedeuten würde.

Corona macht den Gewerkschaften die Verfolgung ihres Ziels schwerer. Die Stimmen auf der Arbeitgeberseite nach Lohnzurückhaltung wurden dadurch lauter. Für besonders viel Wirbel sorgte die »AG Wirtschaft und Energie« der Union-Bundestagsfraktion, indem sie im Mai eine Absenkung des Mindestlohns wegen der Coronakrise ins Spiel brachte. Das führte nicht nur zu Widerworten aus dem linken Lager. Auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer fühlte sich genötigt, dem Vorstoß aus ihrer Partei gleich zu widersprechen.

Nichtsdestotrotz ist der Ruf nach einer Nullrunde seitens der Unternehmerlobby laut. Das fordert etwa der Hotel- und Gaststättenverband, dessen Unternehmen besonders schwer vom coronabedingten Lockdown getroffen wurden, in denen aber auch besonders häufig nur der Mindestlohn gezahlt wird. Auch BDA-Hauptgeschäftsführer Kampeter benutzt die Coronakrise als Argument gegen die Forderungen der Gewerkschaften: »Wir befinden uns in einer nach Expertenmeinung beispiellosen Rezession - dies gilt es bei der Anpassungsentscheidung besonders im Blick zu behalten.«

Der DGB hält unterdessen an den zwölf Euro fest. Und verweist ebenfalls auf die Coronakrise: »Die Wirtschaft steckt in einer tiefen Rezession. Ein Einfrieren des Mindestlohns würde die Lage zusätzlich belasten. Damit die Wirtschaft wieder an Fahrt gewinnen kann, ist neben der Stärkung öffentlicher Investitionen eine Ausweitung der privaten Konsumnachfrage nötig«, heißt es etwa von mehr als 200 Wissenschaftlern in einer ganzseitigen Anzeige in der »FAZ« im Sinne des Gewerkschaftsbundes. Laut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung würden von einer Anhebung auf zwölf Euro rund zehn Millionen Beschäftigte profitieren. Die Wirtschaftsleistung würde um bis zu 1,3 Prozent erhöht.

Einigt sich die Kommission nicht auf eine satte Anhebung, soll die Politik eingreifen, fordert der DGB und verweist dabei auf Großbritannien. Dort gibt es ähnlich wie hier eine unabhängige Kommission, der Staat griff aber schon zweimal ein und hat zuletzt eine Anhebung auf umgerechnet zwölf Euro bis 2024 beschlossen.

Dabei war bereits die Einführung des Mindestlohns ein Eingreifen der Politik, das nötig wurde, weil die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften in den Jahrzehnten zuvor geschwunden war. So wäre es Körzell lieber, wenn sein Job in der Kommission überflüssig wäre: »Mein Traum ist, dass ich noch erlebe, dass die Mindestlohnkommission wieder abgeschafft wird, weil wir wieder die hohe Tarifbindung in Deutschland haben«, sagte er im Youtube-Talk. Denn dann wären die Gewerkschaften wieder stark genug, für alle Beschäftigten gute Löhne durchzusetzen.

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