Wie friert man einen Krieg in der Wüste ein?

In Libyen agieren zu viele ausländische Mächte, denen (noch) ein gemeinsames Interesse an einem Waffenstillstand fehlt

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Freitag hatten die Präsidenten Frankreichs und Russlands eine sogenannte Videoschalte vereinbart. Laut Elyséepalast wollte Emmanuel Macron auch Wladimir Putins aktuelle Positionen in Sachen Libyen erfahren. Mit Sicherheit wird er die mit der deutschen Kanzlerin besprechen, wenn er sie am Mittwoch auf Schloss Meseberg bei Berlin trifft. Angela Merkel wiederum hat gewiss ein gesteigertes Interesse an solchen Informationen, denn: Deutschland schickt sich gerade an, die EU-Ratspräsidentschaft zu übernehmen und ist in besonderer Weise mit den Thema Libyen konfrontiert.

Nicht zuletzt, weil sich die Europäische Union im Frühjahr auf einer von Deutschland organisierten Konferenz verpflichtete, das von der Uno ausgesprochene Waffenembargo gegen die in dem nordafrikanischen Land kämpfenden Bürgerkriegstruppen durchzusetzen. Allerdings: Die dazu ausgelöste Militäroperation »Irini« ist bislang nur eine Farce.

Seit dem Sturz von Langzeitdiktator Muammar Al-Gaddafi 2011 durch westliche Staaten unter Führung Frankreichs und Großbritanniens ringen in Nordafrika diverse in- und ausländische Mächte um Einfluss und Macht. Die Uno stützt die sogenannte Einheitsregierung von Premier Fayiz al-Sarradsch. Dessen Truppen kämpfen gegen die Milizen des Generals Khalifa Haftar. Vor über einem Jahr hatte der eine Offensive bis Tripolis vorangetrieben. Nun musste er sich urplötzlich aus dem hauptstädtischen Großraum zurückziehen.

Die Auseinandersetzungen in Libyen nahmen in den vergangenen Jahren immer mehr den Charakter eines Stellvertreterkrieges an. Die Einheitsregierung wird unter anderem von Katar und der Türkei unterstützt, ihre Widersacher haben Ägypten, Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Russland als Bundesgenossen.

Während Haftar sich jüngst in Kairo um mehr Rückhalt mühte, traf Sarradsch in Ankara den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Der versprach weitere Hilfe. Die bisher geleistete ist nicht unerheblich. Ankara lieferte bewaffnete Drohnen, Panzerfahrzeuge, Luftabwehrmittel, elektronische Geräte sowie in Syrien rekrutierte Söldner, die unter dem Befehl türkischer Militärs kämpfen.

Sind die weiter erfolgreich, so will die Türkei auch eigene Kampfjets in Libyen stationieren sowie einen Hafen als Marinebasis ausbauen. Zudem schickt man sich an, die Wirtschaft und das Finanzsystem Libyens zu reaktivieren. Kurzum: Der Nato-Staat Türkei weitet mittelfristig seinen Einfluss im Mittelmeerraum aus.

Das kann vor allem den Nato-Partnern Frankreich und Italien nicht gefallen, denn deren Ölkonzerne Total und Eni haben die »älteren Rechte« im libyschen Ölgeschäft. Keine Frage, auf wessen Seite sich die EU dabei stellen muss. Doch wenn sie dabei überzieht, kann Erdogan die ohnehin verhasste Gemeinschaft jederzeit mit initiierten neuen »Flüchtlingswellen« unter Druck setzen.

Einen Vorgeschmack auf mögliche kommende Spannungen bekam man, als die im Rahmen der Nato-Mission »Sea Guardian« eingesetzte französische Fregatte »Courbet« ein des Waffenschmuggels verdächtigtes Schiff kontrollieren wollte. Es wurde von türkischen Marineschiffen begleitet, deren Zielradars die Fregatte sofort ins Visier nahmen. Noch unterblieb ein Feuerbefehl - auf beiden Seiten.

Frankreich und andere EU-Staaten, allen voran Deutschland, haben zudem ein hohes Interesse, die im Süden Libyens beginnende Sahelzone auch militärisch aus dem Einfluss dschihadistischer Gruppen zu lösen. Doch dazu braucht man Einfluss in Libyen, der immer mehr schwindet.

Und was macht Russland in der verfahrenen Situation? Es setzt zunächst einmal Fachleute in Erstaunen, denn Moskau zog offenbar ein Gutteil seiner vom Militärunternehmen Wagner gestellten Söldner, die Haftars Erfolge erst möglich gemacht haben, zurück. Seither wird spekuliert, welche besonderen Beziehungen Putin und Erdogan gerade in Bezug auf Libyen aufbauen.

Kein Wunder also, dass Frankreichs Präsident bei seinem jüngsten Videogespräch nachfragte und erneut eine denkbare strategische Partnerschaft zwischen Paris und Moskau zur Sprache brachte.

Analytiker glauben, Moskau könnte darauf aus sein, den Konflikt in Libyen zunächst einzufrieren. Das »Modell Ukraine« bietet auch auf längere Sicht allerlei Optionen. Nur wie erreicht man einen solchen militärisch-politischen Pattzustand in dem heißen Wüstenstaat? Womöglich, indem man die Arabische Liga in die Verantwortung bringt. Dazu jedoch braucht Moskau die Vermittlung der Europäischen Union und die Aussicht, dass der sprunghafte US-Präsident in Libyen kein neues Handlungsfeld entdeckt, um von seiner innenpolitischen Misere abzulenken.

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