Warten auf Trump

Israels Regierung tut sich schwer mit den eigenen Zielen

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Israels Außenminister gehören normalerweise zum inneren Zirkel der Regierung. Sie sind Teil des Sicherheitskabinetts, wissen alles, was die einzelnen Kabinettsmitglieder gerade so tun, denn sie müssen es gegenüber ausländischen Regierungen vertreten. Doch Gabi Aschkenazi gingen am Mittwochmorgen die Antworten aus: »Das müssen Sie den Regierungschef fragen,« sagte der ehemalige Generalstabschef in einem Interview mit dem Armeeradio, als er gefragt wurde, wie es denn um die Annexion von Teilen des Westjordanlandes steht, die laut Koalitionsvertrag beginnen sollte: »Nach allem, was ich weiß, könnte heute gar nichts passieren.«

Denn die Dinge verlaufen überhaupt nicht so, wie Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu es sich vorgestellt hatte: Drei Mal war in Israel seit April 2019 ein neues Parlament gewählt worden, jedes Mal hatte Netanjahu versprochen, er werde nach einem Wahlsieg die Annexion von israelischen Siedlungen und des landwirtschaftlich wichtigen Jordantals voran treiben. Doch zwei Mal war die Regierungsbildung gescheitert, weil die größte Oppositionsfraktion Blau-Weiß nicht mit dem wegen Korruption angeklagten Netanjahu in einer Regierung sitzen wollte. Doch kurz nach der dritten Wahl brach die Coronakrise aus, und Benny Gantz, Blau-Weiß-Chef, vollzog einen überraschenden Kurswechsel: Mit einem Teil der Fraktion schloss er einen umfangreichen Koalitionsvertrag mit Netanjahus Likud und den mit ihm verbündeten rechten und religiösen Parteien. Die Kernpunkte: Gantz löst Netanjahu nach 18 Monaten ab. Und die Rechte bekommt die Annexion zum 1. Juli.

Laut Vereinbarung sollten also am Mittwoch im Kabinett die Gespräche über die entsprechende Gesetzgebung beginnen, denn wenn man die Dinge vor dem Hintergrund der rechtlichen Situation in Israel betrachtet, ist für die Annexion ein Parlamentsbeschluss notwendig.

Doch dann kam eine zweite Gantz‘sche Kehrtwende: »Eine Million Arbeitslose verstehen nicht, worüber wir gerade reden«, sagte er am Dienstag im Gespräch mit der Nachrichtenportal ynet.co.il. »Ich glaube, dass der Trump-Plan das richtige sicherheitspolitische Rahmenwerk für den Staat Israel ist. Aber wir müssen mit internationaler Unterstützung so viele Partner ins Gespräch einbeziehen wie möglich.« US-Präsident Donald Trump hatte Ende Januar einen Friedensplan vorgelegt, der gut 30 Prozent des Westjordanlandes Israel zuschlägt.

Die allermeisten Regierungen, darunter fast alle Staaten der Europäischen Union, betrachten den Plan als unumsetzbar; zudem hat die palästinensische Führung den Plan als indiskutabel abgelehnt. Doch Israels Rechte, allen voran Netanjahu, betrachtet Trumps Vorschlag als Legitimation für die Annexionspläne und macht Druck, während seine Mitarbeiter*innen die Kritik aus Europa kleinreden: Außer Worten werde da nichts kommen, heißt es, das zeige die Erfahrung, und zudem sei man überall gerade ohnehin mit Corona beschäftigt, was die Wahrscheinlichkeit steigere, dass das Thema in der internationalen Öffentlichkeit untergehen wird.

Nur: Mittlerweile drückt auch das Weiße Haus auf die Bremse. Nicht zuletzt, weil man gerade mit Corona alle Hände voll zu tun hat und sich außerdem im Wahlkampf befindet. Mehrmals wurde das Team um Trump-Schwiegersohn Jared Kushner, das den Plan ausgearbeitet hat, bei Netanjahu vorstellig. Man ließ den Medien gegenüber durchsickern, der Plan könne nur im Zusammenspiel aller Beteiligten durchgesetzt werden. Dann meldete sich auch Großbritanniens Premier Boris Johnson mit einem Gastbeitrag in der größten Tageszeitung »Jedioth Ahronoth« zu Wort. Die Kernaussage: »Ich hoffe aus der Tiefe meines Herzens, dass die Annexion nicht geschehen wird.« Und Jordaniens König Abdullah II. drohte mit einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Jordanien ist für Israel ein wichtiger politischer Partner in der Region. Netanjahu selbst gab sich am Mittwoch bedeckt. Er werde »in den kommenden Tagen« Gespräche fortsetzen und dann die Annexion vorantreiben. Israels Minister für regionale Zusammenarbeit, Ofir Akunis, erklärte: »Die Ausweitung der Souveränität wird im Juli erfolgen, aber nicht vor einer Erklärung des US-Präsidenten Trump.«

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