Verhungerte Heringe
Eine Ursache für das Fischsterben an der Nordseeküste und in der Elbe könnte die Vertiefung des Flusses sein
Wer sich in der vergangenen Woche auf eine Wanderung durchs Watt bei Cuxhaven gefreut hatte, verlor vor Ort schnell den Spaß an solch einem Ausflug. Große Mengen verendeter Heringe und einige andere Fische säumten den Strand unweit der niedersächsischen Elbmündung und hinauf bis Schleswig-Holstein, etwa bei Büsum und an der Insel Sylt. Zur gleichen Zeit wurden auch in der Elbe vor Cuxhaven zahlreiche tote Fische gesichtet. Viele waren offensichtlich verletzt. Ein Schicksal, das den gestrandeten Heringen erspart geblieben war.
Sie sind inzwischen im Wechsel von Ebbe und Flut wieder weggespült worden, der Spaziergang auf dem Meeresboden wird nicht mehr von Kadavern verekelt. Doch die Ursache des Fischsterbens ist nach wie vor nicht endgültig geklärt, beschäftigt weiter die Fachleute, die mit mehreren Erklärungsmodellen aufwarten. So heißt es aus dem Forschungs- und Technologiezentrum der Kieler Christian-Albrechts-Universität, die an den Stränden angeschwemmten Fische seien vermutlich an körperlicher Schwäche zugrunde gegangen, schlichtweg verhungert. Es habe sich um unterernährte, zum Teil von Parasiten befallene Jungfische gehandelt. Auch lasse sich nicht ausschließen, dass sie mit giftigen Algen in Berührung gekommen sind, die infolge des warmen Wetters gewachsen sind.
Ursache des schlechten Ernährungszustandes könnte nach Ansicht der Forscher die durch einen warmen Winter hervorgerufene Veränderung des Planktons sein, jener winziger Meerestiere und -pflanzen, die ein wichtiges »Futter« der Fische sind. Geschwächt worden seien sie zudem womöglich durch Schlick, der im Verlauf der Arbeiten zur Elbvertiefung aufgewirbelt wurde und die Atemwege der Jungtiere, die Kiemen verstopfte.
Diese Arbeiten sind, so Kritiker der Baggerei, auch für die in der Elbe entdeckten toten Fische verantwortlich. Seit Juni, nachdem das Bundesverwaltungsgericht grünes Licht gegeben hat, läuft die seit 18 Jahren geplante und vor allem von Naturschützern beklagte Vertiefung und Verbreiterung des Flusses. Sie soll auch großen Containerschiffen das tidenunabhängige Erreichen und Verlassen des Hamburger Hafens ermöglichen.
Die Saugbagger, so eine Vermutung, könnten mit dem Grund der Elbe unzählige Fische aufgenommen und sie dann, teilweise verletzt, beim Abladen des Baggerguts andernorts wieder in die Nordsee gespült haben. Aufgrund dessen haben der Bund für Umwelt und Naturschutz BUND, der Naturschutzbund NABU und der World Wildlife Fund Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt. Zugleich fordern sie den Einsatz der Saugbagger unverzüglich auszusetzen.
Auch die Gesellschaft »Schutzstation Wattenmeer« schließt nicht aus, dass die Arbeiten zur Elbvertiefung zum jüngsten Fischsterben beigetragen haben. Die Aktivisten haben deshalb einige der an der Nordsee aufgefundenen toten Tiere eingefroren und der Universität in Hamburg zur Untersuchung zugeleitet. Des weiteren sind die Wasserschutzpolizei und das Umweltministerium in Niedersachsen damit beschäftigt, das Geschehen an der Küste aufzuklären.
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