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Heftige Proteste, zaghafte Reformen
Black-Lives-Matter-Aktivisten wollen keine Polizisten mehr in US-Schulen sehen - und stoßen auf starke Gegenwehr
Die Massendemonstrationen gegen Polizeigewalt zeigen mancherorts in den USA erste Wirkung: in den Schulen des Landes. Das bisher erfolgreichste Beispiel ist die 800 000-Einwohner-Stadt Seattle. Der kommunale Schulausschuss der Westküstenstadt beschloss Ende Juni, die Polizeipräsenz in Schulen ganz zu beenden. Das bedeutet, dass die fünf Polizisten, die in jeder Schule eingesetzt sind, abgezogen werden.
Endlich fanden die Aktivisten Gehör, die seit Jahren gegen den systemischen Rassismus in der angeblich so liberalen Stadt protestieren. Schwarze machen 14 Prozent der Schülerschaft aus, aber 50 Prozent derjenigen, die wegen eines »Vergehens« auf Schulgeländen von der Polizei erfasst worden sind. Als erste Stadt hatte das »School Board« in Minneapolis schon zu Beginn der Proteste wegen des Todes von George Floyd Anfang Juni beschlossen, den Vertrag mit der Polizei der Stadt zu Schul-Patrouillen zu kündigen. Ein paar weitere mittelgroße Ortschaften und Städte wie Milwaukee, Portland oder Denver rüsten in den Schulen ebenfalls ab, aber auch Oakland und San José in Kalifornien. Dazu kommen mehrere kleinere Orte, in denen die gewählten Schulausschüsse Entscheidungen treffen.
Aber zu einer breiten Welle, die sich auf die großen US-Metropolen ausbreitet, wird es wohl nicht kommen. Denn die Kräfteverhältnisse lassen dort selbst so kleine Reformversuche wie etwa den Abbau von Metalldetektoren scheitern. Die Macht und der Einfluss der Polizeigewerkschaften ist zu groß, viele Bürgermeister knicken vor ihnen ein. Und die Schulausschüsse haben weniger Entscheidungsbefugnisse. Los Angeles wird die 400 Beamten, die die Schüler disziplinieren, und den dafür vorgesehenen Etat von 70 Millionen Dollar nicht antasten. Das beschloss der Schulausschuss am 23. Juni mit einer knappen Mehrheit. Drei Vorschläge lagen vor.
Der radikalste sah nach dem Motto »Defund the Police« die 90-prozentige Reduzierung der Schulpolizei bis 2024 und den Transfer der dadurch frei gewordenen Gelder an antirassistische Initiativen vor. Dahinter hatten sich die Black-Lives-Matter-Bewegung und zwei Gewerkschaften gestellt. Ein zweiter Entwurf sah einen Abbau der Schulbeamten um 30 Prozent vor, ein dritter beschränkte sich auf die Forderung nach einer Revision der Polizeipraktiken in Schulen. Man dürfe nichts überhasten, lautete die Mehrheitsstimmung in dem Schulausschuss. Vor Änderungen müsse eine Kommission eingesetzt werden, die zunächst Beschwerden entgegennimmt, die sie dann überprüft.
Doch eigentlich ist alles klar: Aktivisten legen seit Jahren nicht bestreitbare Daten vor, die überproportional häufiges und aggressives Vorgehen gegen Schwarze Schüler zeigen. Von 2014 bis 2017 betrug der Anteil Schwarzer Schüler im Schulbezirk Los Angeles weniger als neun Prozent, aber ein Viertel der von Schulpolizisten getätigten Festnahmen und Strafen betraf diese. Schulleiter teilen ganz offen die Auffassung, Polizeibeamte würden bei Schwarzen und Latinos »für mehr Disziplin und damit mehr Sicherheit im Schulbetrieb« sorgen. Befürworter von Polizei auf dem Schulgelände meinen außerdem, dadurch würden bewaffnete Gangs abgeschreckt. Zudem hätten einzelne Polizisten die Funktion von Sozialarbeitern übernommen und seien zu Vorbildern geworden.
In Chicago scheiterte ein Vorstoß gegen die Polizei an Schulen knapp. Laut der Vier-zu-drei-Entscheidung des Chicagoer Schulausschusses bleiben der Vertrag des Bezirks mit der Polizei und das Budget von 33 Millionen Dollar erhalten. Die Argumente in der Debatte waren ähnlich wie die in Los Angeles. Im Mai waren in Chicago einer Umfrage zufolge 85 Prozent der Bewohner eindeutig gegen Schulpolizei, aber 90 Prozent des Schulpersonals dafür. Ungefähr die Hälfte der Schüler wollte die Polizisten loswerden.
Auch der Stadtrat ist geteilter Ansicht. Elizabeth Todd-Brelant, die im Schulausschuss sitzt und als »radikal« gilt, sagte: »Polizei gehört nicht in Schulen.« Es gehe nicht um einzelne Beamte, sondern um ein »tief sitzendes, institutionelles und systemisches Problem, das eine systematische Antwort und Lösung erfordert.« Die »Pipeline« von der Schule ins Gefängnis sei nicht reformierbar. Durch zahlreiche kriminologische Studien ist belegt: Wer als Nichtweißer einmal von den Schulpolizisten zurechtgewiesen und namentlich erfasst wurde, endet später viel öfter im Gefängnis als ein Weißer.
Auch die größte Stadt der USA zeigt sich reformresistent. Unter dem linksliberalen Bürgermeister Bill De Blasio stieg das Budget für Sicherheit an Schulen in New York seit 2014 um 25 Prozent. An einen Abbau der 5100 Polizisten starken Disziplinierungsmacht an Schulen ist nicht zu denken. Sie ist jüngst im Zuge der Haushaltsverhandlungen der Stadt zwar aus der Polizeibehörde NYPD ausgegliedert und der Bildungsbehörde unterstellt worden. Darüber hinaus sind die Schulpolizisten angewiesen, sich »möglichst« zurückzuhalten. Doch die politische Macht der NYPD ist weiterhin groß. Auch am »Big Apple« sind Schulen mit Metalldetektoren und Polizisten an den Eingangstüren Alltag, besonders für viele Schwarze und Latinos. Die »school-to-prison-pipeline« bleibt bestehen.
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