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Ollie mit Bauchlandung
Noch vor der Olympia-Premiere hat sich das deutsche Skateboarding organisatorisch zerlegt.
Kann das wirklich gut gehen?«, kommentierte die »FAZ« 2016 die Aufnahme von Skateboarding ins Olympia-Programm. Auch andere Medien vermaßen den Konflikt zwischen »Style«, »Freiheit« und den Regeln des olympischen Betriebs. Hierzulande scheint diese Frage nun mit Nein beantwortet zu sein: Wo Skateboards auf ersten Sportförderbriefmarken prangen, haben sich die seit 2016 entstandenen Olympia-Strukturen zerlegt.
Ende Juni erklärte der Deutsche Rollsport- und Inlineverband (DRIV), dem auch das Rollbrett zugeordnet ist, seine 2017 entstandene Sportkommission Skateboard (SKSB) für aufgelöst. Deren Aufgaben soll stattdessen eine hauptamtliche Kommission Olympischer Leistungssport übernehmen. Die geschasste ehrenamtliche Skatervertretung hat scharf protestiert und will im Herbst über Konsequenzen beraten.
Jeder Streit hat zwei Seiten. Die Version des Verbandes - genau will sich Sportdirektor Stephan Reifenberg nicht äußern, da er »rechtliche Schritte« erwäge - geht in etwa so: Unprofessionelle Skateszene-Puristen gefährden die Olympia-Tickets der aussichtsreichen deutschen Starter Tyler Edtmayer und Lilly Stoephasius. Es musste die Notbremse gezogen werden.
Tatsächlich hatte der Weltverband World Skate (WS) für die Qualifikation zwei Phasen abgesteckt. Die erste umfasste Frühjahr und Sommer 2019, die zweite den Herbst 2019 sowie Winter und Frühjahr 2020. Nun findet die qualifikationsrelevante Deutsche Meisterschaft (DM) turnusgemäß im Sommer statt. Daher hatten deutsche Starter nur eine statt zwei heimische Chancen zum Punktesammeln - oder man hätte die DM 2020 um einige Monate vorverlegen müssen.
Die SKSB um den Vorsitzenden Hans-Jürgen »Cola« Kuhn und Stellvertreter Shiran Habekost lehnte das ab. Leider, schrieb man im Winter dem »Perspektivkader«, könne man kein »weiteres nationales Punktepolster« bieten. Ein Satz, der Sportoffizielle nachvollziehbar mit offenem Mund zurückließ und die Qualifikanten verärgerte. Nach Beschwerden bei der Athletenvertretung setzte der DRIV im Februar Kuhn ab, was aber vom Verbandsgericht gestoppt wurde. Am Ende stand die Auflösung der Kommission.
Ein veritabler Sportskandal? Michael Meiber-Hinrichs sieht diese Meisterschaftsentscheidung sehr kritisch. »Cola und Shiran haben es vergeigt«, sagt der Oldenburger, der als Landesfachwart für Niedersachsen in der Kommission saß. Zu oft hätten sich die Vorsitzenden unkooperativ gezeigt. Man könne nicht »bei einem Olympiaverband mitmachen und dauernd sagen, wie wenig man davon hält«. Tatsächlich musste es für den DRIV seltsam klingen, wenn Kuhn als Mann für seine einzige olympische Sportart in der »Sportschau« sagte, dass das eigentlich nicht passe.
Dennoch lässt sich die Geschichte auch anders erzählen. Elf von 15 Landesfachwarten verteidigen jene Entscheidung, die Kuhn wie folgt erläutert: Ein vom Weltverband anerkannter Wettkampf in der Disziplin Park - in der Edtmayer und Stoephasius auch ohne Extra-Meisterschaften gute Qualifikationschancen hätten - lasse sich schwer im ersten Jahresdrittel durchführen. Dafür erforderliche Parcours aus vielerlei verschachtelten Rundungen gibt es hierzulande kaum - schon gar nicht überdacht. Bereits bei leichter Feuchtigkeit müsste man absagen. Vor allem aber sei im Skateboarding nicht vermittelbar, »die als Marke gerade etablierte DM nur wegen möglicher Olympiapunkte für zwei oder drei Aktive einfach umzuschmeißen«.
Womit man bei jenem Kulturkonflikt wäre, der zwar von »FAZ« bis »Zeit« breit debattiert wurde, aber für das Sportsystem offenbar schwer zu verinnerlichen ist: In der Skateboard-Welt, die sich in heutiger Gestalt seit den 70ern als sportiver Arm von »Gegenkultur« etabliert hat, ist Olympia nicht das große Ding, auf das alles zuläuft. Weit eher wird umgekehrt erwartet, dass sich Olympia - samt dem Konzept von wettkampfzentriertem Leistungssport - quasi um Zutritt zum Skateboarding bewirbt.
Das kann man großkotzig nennen. In einem Umfeld, in dem schon das Label »Sport« oft abgelehnt wird, muss man das aber wissen. Wie man in solcher Landschaft etwas »Offizielles« etabliert, zeigte die SKSB in der Neukonzeption der Deutschen Meisterschaften. Diese fanden seit 2018 im Rahmen der Skate Week statt, eines mehrtägigen Events mit verschiedenen Formaten auch jenseits der Wettkampfparcours, etwa Bester-Trick-Sessions auf der Straße. Die DM ist nicht unbedingt zentral in diesem Skatefestival. Doch was in der Szene gut ankam, befremdete den Dachverband: Wie kann man eine offizielle Meisterschaft quasi als Ausklang veranstalten? Am Tag nach der großen Party?
Solche sportkulturellen Differenzen wurden laut Chris Eggers, dem badischen Fachwart, zum Dauerproblem. Anfangs habe es sogar die Debatte gegeben, ob die Bundestrainer einen Skate-Hintergrund brauchten oder eine A-Lizenz nicht wichtiger sei, in welcher Sportart auch immer. Ab 2018, als der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) verfügte, olympische Belange müssten von Hauptamtlichen betreut werden, häuften sich auch laut Kuhn die Rangeleien. Mal sei es um das letzte Wort zum Kader gegangen, mal um DM-Teilnehmer, die sich nur mit Spitznamen anmeldeten. Oder um die Rigidität der Haltung zu Cannabis, das - weil enthemmend wirkend - auf der Dopingliste steht, aber abseits von Wettkämpfen nicht verboten ist. Weder Sportdirektor Reifenberg noch der Leistungssportreferent Skateboard, Sebastian Barrabas, haben Rollbrett-Erfahrung. So lautet die Version der geschassten SKSB mehrheitlich, hier griffen ehrgeizige Sportfunktionäre nach etwas, das sie nicht verstünden.
Richtig ist, dass die meisten Skater statt von Olympiagold vom Titel »Skater of the Year« träumen, den das Magazin »Thrasher« vergibt - und für den man keinen einzigen Wettkampf bestreiten muss. Das ist keine Kinderkrankheit, sondern die DNA dieser Sportkultur. Auch Titus Dittmann, Gründer der Skateboard-Ladenkette »Titus« und oft als »Vater der Szene« gehandelt, gab sich zuletzt olympiaskeptisch. Zugleich zeigt die Olympischwerdung von Skateboard-Verwandten wie Wellenreiten, BMX-Freestyle und all der Halfpipe- und Slopestyle-Varianten der Winterspiele, dass dieses Modell von Sport als Kulturszene an Bedeutung gewinnt. Warum Deutschland hier bisher keinen Stich macht, beschrieb DOSB-Präsident Alfons Hörmann nach den Spielen von Pyeongchang: In »den Disziplinen, die in Richtung Trend und Fun gehen«, sei man »nicht in der Professionalität aufgestellt«. Will man das ändern, bleibt aber die Frage, was »professionell« heißt.
Kurzfristig kann der DRIV, der mit Jürgen Horrwarth und Lea Schairer dann doch höchst kompetentes Trainingspersonal fand, 2021 auch ohne SKSB seine beiden Spitzenaktiven nach Tokio bringen - mit oder ohne in den Qualifikationsphasen durchgezogene Meisterschaften. Zugleich aber drohen organisatorische Probleme. Zwar versichert der geschasste Shiran Habekost, der im Weltverband in der zuständigen Kommission sitzt und Chairman in dessen Europa-Abteilung ist, die Deutschen hätten wegen des Streits »selbstredend keine Nachteile«. Doch die Zusammenarbeit mit der Basis in den meisten Bundesländern und vielen Kommunen könnte diffizil werden - auch hinsichtlich der dringenden Offensive beim Bau von Anlagen nach Weltverbandsstandards. Die zuletzt wachsende Zahl von Mitgliedsvereinen könnte verebben oder sich umkehren.
Die brüskierte SKSB war kein subkultureller Hardliner-Club, sondern der dem Sportbetrieb noch aufgeschlossenste Teil der Szene. Gerade den hat man jetzt vorgeführt. Das Echo bei den vielen, die nicht nur Olympia, sondern schon Verein und Verband für Spießerquatsch halten, schwankt denn auch zwischen LOL und ROFL: Sorry, aber das hatten wir euch gleich gesagt! Ohne Gegensteuern riskiert der DRIV eine Wiederholung der Geschichte: Um 1990 scheiterte sein Vorläufer Deutscher Rollsportbund schon einmal an einer nachhaltigen Organisierung von Skateboarding. Auch dabei ging es im Kern um den Widerspruch zwischen Szene- und Verbandskultur. Kuhn, schon damals eine zentrale Figur, vertrat seinerzeit pointiert die Verbandsposition. Er scheint aus dieser Vorgeschichte Lehren gezogen zu haben.
Schuld an dieser Bauchlandung mag man auf beiden Seiten finden. Klar ist aber, dass sie längerfristig auch ein leistungssportliches Problem hervorrufen kann: Zuletzt zeigte die DM von 2019, dass ein kulturell isolierter Olympia-Apparat auf Dauer auch in seinem Sinn kaum weiterkäme: In der Disziplin »Street« - bei der auf Basis der Sprungtechnik »Ollie« ein Parcours aus Treppen, Schrägen und Kanten befahren wird -, wurden bei den Männern die Olympiakader Alex Mizurov und Denny Pham Fünfter und Sechster. Der Sieger aber, Justin Sommer, will mit Olympia nichts zu tun haben. Dabei hätte er die Qualifikation in den Füßen.
Der europaweit bekannte Skateboarder aus Berlin wird seine Haltung kaum noch ändern. Will aber der DRIV nach seinen eigenen Maßstäben erfolgreicher werden, muss er neben aller Trainingswissenschaft und Professionalisierung auch Wege finden, einen nächsten oder übernächsten Justin Sommer einzubinden. Was jetzt mit der Skateboard-Kommission passiert ist, wirkt in weiten Teilen der Szene jedoch als gegenteiliges Signal. Helfen könnte hier etwas Dialektik: Zuweilen darf man nicht zu sehr forcieren, was man erreichen will.
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