Merkel beim Sonnenkönig

Die Teilnahme der Kanzlerin an einer bayerischen Kabinettssitzung überraschte und schuf Gelegenheit zu Spekulationen

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Was tut man, wenn man ein wenig Bundeskabinettsluft schnuppern will? Normalerweise nichts, denn wer solch verquere Wünsche hat, lässt es sich besser nicht anmerken. Doch bei Markus Söder ist das anders. Die Bundesregierung ist nicht außerhalb seiner Gedankenwelt, auch wenn der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef stets betont, sein Platz sei in Bayern. In den letzten Monaten hat er Coronakrisenpolitik gemacht, und das war Bundespolitik pur.

Söder holte sich die Bundesregierung am Dienstag kurzerhand nach Hause, zumindest ihren entscheidenden Teil. Die Bundeskanzlerin hatte er zu einer Sitzung des bayerischen Kabinetts eingeladen. Und die habe keinen Moment gezögert, hieß es. Sofort schossen die Spekulationen ins bayerische Kraut: Handelte es sich hier um eine Art Ritterschlag für Söder in der bevorstehenden Entscheidung über die Kandidatur der Union zur Kanzlerschaft? Sie habe sich äußerste Zurückhaltung auferlegt, wehrte Angela Merkel alle Fragen am Rande des Treffens ab. »Deshalb werde ich dazu in keiner Weise und in keinem Umfeld etwas kommentieren.« Und natürlich werde sie die Einladung anderer Ministerpräsidenten ebenfalls wahrnehmen.

Also keine Ehrenbezeugung besonderer Art? Nein, es sei eher um die Demonstration eines neuen Verhältnisses zwischen CDU und CSU gegangen, beteuerte an Merkels Seite der bayerische Regierungschef. Nach den Jahren der Auseinandersetzung etwa über die Flüchtlingspolitik gilt nun wieder Schulterschluss. Im Wahlkampf zur Landtagswahl 2018 noch hatte Söder auf Merkels Beistand in Form von Wahlkampfauftritten lieber verzichtet - da verharrten ihre Umfragewerte im Keller, und Unversöhnlichkeit herrschte zwischen Berlin und München. Heute gilt »Wiederzusammenfinden« nach »einigen schwierigen Jahren«, wie Söder schmeichelte.

Mit der gesamten Münchner Regierungsbagage ging es nun also an den Chiemsee, wo auf der Herreninsel das Schloss Herrenchiemsee die angemessene Kulisse für prächtige Gäste bietet. Nach der Überfahrt per Raddampfer wechselte man in die Kutsche. Und zum Abschied applaudierte das Volk am Ufer. Beinahe wirkten selbst die zum Protest gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung herbeigeeilten Landwirte mit ihren 300 Traktoren an der Straße zum Chiemsee wie Spalier und Staffage. Das kitschige Schlossambiente passte vollendet zu Söders Botschaft: Zwar lasse ich mir meine Ambitionen zur Kanzlerschaft nicht anmerken, aber alle Welt darf merken, dass die in Söderscher Hand gut aufgehoben wäre.

Da ist er bescheidener als Sonnenkönig Ludwig XIV, dessen Residenz in Versailles den bayerischen Namensvetter Ludwig II zum Schlossbau auf der Herreninsel einst inspirierte. Der französische Ludwig liebte es, Freund und Feind kommen zu lassen, um den Gast zu beeindrucken, etwa mit dem riesigen Spiegelsaal, bevor er ihm gegebenenfalls die diplomatische Schlinge um den Hals legte. Der Spiegelsaal auf der Herreninsel ist noch ein paar Meter länger als sein französisches Vorbild, und Besucher beeindrucken kann ein bayerischer Ministerpräsident dort schon auch sehr gut. Allerdings wurde das Schloss im Chiemsee nie ganz fertig, und womöglich ist das nun wieder ein ungünstiges Omen für Sonnenkönig Söder.

Denn mit diesem Staatsbesuch ist das Potenzial an Selbstdarstellung fürs erste ausgeschöpft, zumal vor der nun beginnenden Sommerpause. In Umfragen thront Söder längst über allen Konkurrenten - der Partnerpartei CDU wie auch von SPD oder Grünen. 52 Prozent aller Deutschen würden seine Kanzlerkandidatur derzeit gutheißen, verhieß eine RTL-Umfrage. Doch was in ein paar Wochen ist, weiß heute niemand. Und so tat Söder vorerst, was getan werden konnte - zu den besten Umfragewerten die schillerndsten Bilder zur Erinnerung der Wähler für die Zeit nach der Sommerpause.

Eindruck machte er schon. Das erste Mal immerhin gab sich die Bundeskanzlerin die Ehre, an einer bayerischen Kabinettssitzung teilzunehmen, auch keiner ihrer Vorgänger habe das je getan, gab Söder auf Journalistenfragen Auskunft. Ein »Signal des neuen Miteinanders« nannte er das. Beim eigentlichen Anlass, der Kabinettssitzung, ging es denn auch um Themen, für die Merkel sonst nicht extra nach Bayern reist. Die soeben begonnene Ratspräsidentschaft Deutschlands in der EU oder auch die Coronapandemie. Doch an diesem Tag im Spiegelsaal war halt so ziemlich alles viel eher Symbolik als reale Politik. Und damit war der Tag am Ende doch, was er angeblich ganz und gar nicht sein sollte. Eine Demonstration der Ambitionen des Markus Söder.

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