Plötzlich rechtsextrem?

Die Rolle des Verbandes Atib, Mitglied im Zentralrat der Muslime, ist umstritten

  • Fabian Goldmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Einmal mehr steht der Zentralrat der Muslime in der Kritik: »Rechtsextremismus im Zentralrat der Muslime« titelte vergangene Woche die Tageszeitung »Welt«. »Seehofer hofiert National-Islamisten«, lautet die Überschrift eines weiteren Beitrags. Anlass für die Empörung: Einer der Mitgliedsverbände des »Zentralrats der Muslime in Deutschland« (ZMD), die »Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V.« (Atib) war im jüngsten Jahresbericht des Bundesverfassungsschutzes aufgetaucht.

Dort war der Verband, in dem über 100 Vereine und mehrere Tausend Mitglieder organisiert sind, den türkischen Rechtsextremisten der Grauen Wölfe zugeordnet worden. Unter der Überschrift »Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebung von Ausländern« wird dem Verband vorgeworfen, eine Ideologie zu vertreten, die unter anderem Kurden und Juden abwerte. Atib erzeuge eine »desintegrative Wirkung« und fördere einen »türkischen Nationalismus mit rechtsextremistischen Einflüssen«, heißt es.

Nachdem die »Welt« das Thema aufgegriffen hatte, forderten Politiker*innen mehrerer Parteien ein Ende der staatlichen Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Muslime. »Das türkisch-nationalistische Wirken der Atib verhindert Integration und ist Gift für unsere Gesellschaft«, erklärte der innenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion Mathias Middelberg (CDU). Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, begrüßte ebenfalls, dass nun auch die Bundesregierung »endlich offen zugibt, dass es sich bei Atib um einen Verband aus dem Spektrum der Grauen Wölfe handelt«. Die Konsequenz daraus sollte sein, »jede auch indirekte Zusammenarbeit mit dieser faschistischen Vereinigung zu beenden«. Das betreffe auch Kooperationen mit dem Zentralrat der Muslime, solange sich dieser nicht von Atib distanziere.

Atib selbst weißt die Vorwürfe zurück. In einer Pressemitteilung zeigte sich der Vorstandsvorsitzende des Verbandes, Durmus Yildirim, von der Einordnung überrascht: »Es gab bis heute kein Verfahren oder eine Beschwerde gegen den Dachverband.« Atib lehne jeglichen »Rassismus auf Basis von Ethnie, Kultur oder Religionszugehörigkeit ab« und arbeite seit Jahrzehnten intensiv »mit Gemeinden, Regierungsvertretern, NGOs sowie christlichen, jüdischen, alevitisch-islamischen Religionsgemeinschaften zusammen«.

Auch der Zentralrat der Muslime wies die Kritik zurück. Auf »nd«-Anfrage erklärte der Dachverband, dass Atib einen unabhängigen Wissenschaftler mit der Prüfung der Vorwürfe beauftragen wolle. Außerdem bemühe man sich um einen Termin beim Bundesamt für Verfassungsschutz, »um rechtlich einwandfreie Wege zu erörtern, diesen Eintrag zu revidieren; auch um langwierige rechtliche Auseinandersetzungen im Sinne aller Beteiligten zu vermeiden«.

Für den Zentralrat der Muslime ist die Kritik an Atib und die Forderungen nach Distanzierung nicht unproblematisch: Atib ist Gründungsmitglied des Zentralrats und einer der größten Verbände im ZMD, der mit Mehmet Alparslan Celebi dessen Vizevorsitzenden stellt. Außerdem hatte erst vergangenen Dezember mit der Deutschen Muslimische Gemeinschaft (DMG) ein Mitgliedsverband nach öffentlicher Kritik seine Mitgliedschaft beim ZMD ruhen lassen müssen. Im Fall der DMG hatte es zuvor Islamismus-Vorwürfe durch den Verfassungsschutz gegeben. DMG hatte die Vorwürfe abgestritten und von politischen Motiven für die Einordnung gesprochen.

Diese hält im aktuellen Fall auch Tarek Baé für möglich. Der Journalist und Medienwissenschaftler beschäftigt sich mit muslimischer Selbstorganisation in Deutschland. »Atib existiert seit 33 Jahren und entstand als Abspaltung von den Grauen Wölfen der MHP. Übrigens auch, weil Atib der Ausgrenzung von Kurden entgegenstehen wollte.« Nach 33 Jahren plötzlich im VS-Bericht aufzutauchen, obwohl das Jahr 2019 für Atib ziemlich ruhig war, lasse den Verdacht entstehen, es sei eine politische Entscheidung, sagt Baé. Gegenüber »nd« warnt er außerdem vor den möglichen Folgen für islamische Interessenvertretung in Deutschland: »Atib ist das wichtigste Mitglied des ZMD. Es ist der nächste große Moscheeverband, der auf diese Weise unmöglich gemacht wird.«

Kritik am politischen Fokus des jüngsten Verfassungsschutzberichts hatte es derweil zuvor schon jenseits der Vorwürfe gegenüber Atib gegeben. Das Online-Magazin »Islamiq« hatte gezählt, wie oft verschiedene Arten politischer Extreme in dem Bericht Erwähnung finden: An 139 Stellen widmet sich der Bericht dem Thema »Islamismus«. Das Thema »Islamfeindlichkeit« hingegen findet außerhalb des Vorworts keine einzige Erwähnung.

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