Let’s talk about sex

Die Zeit ohne Fans ist ein guter Anlass, um über Sexismus im Profifußball zu reden, findet Antje Grabenhorst.

  • Antje Grabenhorst
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Corona-Pandemie hat aufgezeigt, was schon vorher klar war: Es sind nicht alle gleich von der Krise betroffen. Es ist ein Privileg, genug Geld zu verdienen, im Homeoffice zu arbeiten, die Kinder betreuen zu lassen und sich schützen zu können. In dieser Extremsituation nehmen häusliche sowie sexualisierte Gewalt zu. Seit Beginn der Coronakrise gab es 17 Prozent mehr Kontaktaufnahmen beim bundesweiten Hilfetelefon »Gewalt gegen Frauen«.

Auch im Fußball ist dieses Thema präsent. Während der Pandemie blieben die Ränge in den Stadien unbesetzt. Die Leere wurde mit der Thematisierung von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen gefüllt. So hatte die Sportschau eine dreiteilige Reihe zu sexualisierter Gewalt im Fußball veröffentlicht, die mit der Bekanntgabe eines Urteils zusammenfiel, welches die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit Sexismus im Fußball mehr als unterstreicht.

2018 brachte eine damals 19-Jährige eine Vergewaltigung in einer Sonderzugtoilette der Gladbacher Fanszene zur Anzeige. Das mediale Echo war groß und verschiedene Akteur*innen noch größer darin, diesen Vorfall zu einem Einzelfall zu skandalisieren. Einen der wenigen weitsichtigen Beiträge schrieb das Netzwerk »F_in - Frauen im Fußball« und stellte dabei heraus, dass sexualisierte Gewalt und Sexismus im Männerfußball leider Normalität seien und sich etwas ändern müsse. Es wurde daraufhin ein Handlungsleitfaden zum Umgang erarbeitet und veröffentlicht, der deutlich macht, dass sexualisierte Gewalt von einem derben Spruch bis hin zu einer Vergewaltigung vielschichtig ist und durch enge Räume, Körperlichkeit sowie Alkoholkonsum begünstigt wird. Seither ist der Ball ins Rollen geraten: Mehrere Vereine haben Anlaufstellen oder Rufnummern geschaffen und Konzepte erarbeitet, um Betroffenen zu helfen.

In Falle des Sonderzuges ist nun ein Urteil in zweiter Instanz gefällt worden. Zunächst wurde der bereits für eine Vergewaltigung und Körperverletzung vorbestrafte Angeklagte für schuldig erklärt, nun wurde er freigesprochen, weil angeblich nicht klar zu erkennen gewesen sei, dass die Betroffene die sexuellen Handlungen nicht wollte. In einigen Artikeln zum Thema hieß es, sie habe »Nein« gesagt. Die Staatsanwaltschaft ging bereits in Revision. Interessant ist, dass sich der juristische Umgang mit sexualisierter Gewalt in den letzten Jahren verändert hat. Erst seit 2016 gilt das Sexualstrafrecht im Sinne eines »Nein heißt Nein«. Diese Änderung geht einigen dennoch nicht weit genug, weswegen für ein nur »Ja heißt Ja« nach schwedischem Vorbild plädiert wird.

In linken Kontexten nimmt man das Problem häufig selbst in die Hand: Fragen der Definitionsmacht sind spätestens seit Übergriffen auf dem Festival »Monis Rache« ein Begriff. Der Fokus liegt hier auf einer Alternative zur Strafjustiz bei zwischenmenschlicher Gewalt und darauf, Betroffenen zu glauben. Dass auch diese alternativen Konzepte komplex sind und ausgenutzt werden können, ist schwer zu ändern.

Es zeigt sich: Der Fußball steht nicht alleine da, letztlich geht es um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Alle Handungkonzepte für Fußballstadien bringen nichts, wenn wir nicht über Konsens reden. Über Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse, über patriarchale Strukturen und ökonomische Zwänge. Wir müssen Konsens lernen, die eigenen und die Grenzen anderer wahrnehmen, sensibel für Körpersprache sowie Stimmungen werden und nachfragen.

Auch wenn wir der Meinung sind, dass das alles viel zu umständlich ist, es ist leider alternativlos. Ungewollte Berührungen und ungewollter Sex können nicht nur die Stimmung, sondern Leben zerstören. Wenn man sich so sicher ist, dass die Intimität oder Nähe einvernehmlich ist, hat man nichts zu verlieren, wenn man fragt, muss aber aufzuhören, wenn man merkt, dass etwas nicht stimmt.

Der deutsche Fußball plant die schnellstmögliche Rückkehr der Fans in die Stadien. Die leeren Ränge wären aber ein guter Anlass, über sicherere Räume für Frauen zu reden - nicht nur im Stadion.

Wir müssen unsere Sinne schärfen und die Debatte mit Wissen würzen. Denn wie Salt ’n’ Pepa schon vor knapp 30 Jahren sagte: »Let's talk about sex, baby. Let's talk about you and me. Let's talk about all the good things. And the bad things that may be.«

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