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EU-Gipfel einigt sich auf Corona-Paket
Konjunktur- und Investitionsprogramm in Höhe von 750 Milliarden Euro geplant / Kritik an Kompromiss von Grünen und Linken
Brüssel. Im Kampf gegen die Corona-Wirtschaftskrise haben sich die EU-Staaten auf das größte Haushalts- und Finanzpaket ihrer Geschichte geeinigt: Es hat einen Umfang von 1,8 Billionen Euro. Der Kompromiss wurde nach mehr als viertägigen Verhandlungen am frühen Dienstagmorgen bei einem Sondergipfel in Brüssel von den 27 Mitgliedsstaaten angenommen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich erleichtert. »Das war nicht einfach«, sagte die CDU-Politikerin. Für sie zähle aber, »dass wir uns am Schluss zusammengerauft haben«. Der Haushalt sei auf die Zukunft Europas ausgerichtet. »Historischer Tag für Europa«, schrieb der französische Präsident Emmanuel Macron auf Twitter.
Das Paket umfasst 1074 Milliarden Euro für den nächsten siebenjährigen Haushaltsrahmen bis 2027 und 750 Milliarden Euro für ein Konjunktur- und Investitionsprogramm. Damit will sich die Europäische Union gegen den beispiellosen Wirtschaftseinbruch stemmen und den EU-Binnenmarkt zusammenhalten. Gleichzeitig soll in eine digitalere und klimafreundlichere Wirtschaft investiert werden. Dafür werden erstmals im großen Stil im Namen der EUSchulden aufgenommen, das Geld umverteilt und gemeinsam über Jahrzehnte getilgt.
Auch EU-Ratschef Charles Michel und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen feierten den Beschluss als historisch. »Wir haben es geschafft«, sagte Michel. Das sei der richtige Deal für Europa jetzt. »Wir sind uns bewusst, dass dies ein historischer Moment in Europa ist«, ergänzte von der Leyen.
Sie erinnerte daran, dass die fast 100 Stunden Verhandlungen während der vier Tage und Nächte des Gipfels mehrfach am Rand des Scheiterns standen. »Das ist schon eine Achterbahn der Gefühle«, sagte von der Leyen. Der Moment des Erfolgs sei jedoch atemberaubend. »Das ist etwas, was wir beide nie vergessen werden«, sagte sie zu Michel.
Erst am Montag waren zwei der umstrittensten Einzelpunkte gelöst und damit der Weg zum Gesamtdeal freigemacht worden. Zum einen fand man endlich einen Kompromiss zum Kern des Corona-Programms: Die sogenannten sparsamen Staaten akzeptierten, dass gemeinsame Schulden aufgenommen werden und das Geld als Zuschuss an EU-Staaten geht. Im Gegenzug willigten Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien ein, die Summe dieser Zuschüsse aus dem Corona-Programm von 500 Milliarden Euro auf 390 Milliarden zu verringern. Dazu kommen 360 Milliarden Euro, die als Kredit vergeben werden.
Der zweite Knackpunkt wurde dann am Montagabend geklärt: Man fand eine Formel zur Koppelung von EU-Geldern an die Rechtsstaatlichkeit, die alle 27 Staaten annahmen. Zuvor hatten sich Polen und Ungarn strikt gegen einen solchen Rechtsstaatsmechanismus gewehrt, zumal gegen beide Staaten Verfahren wegen Verletzung von EU-Grundwerten laufen. Etliche EU-Staaten beharrten jedoch auf dem Mechanismus. Die Kompromissformel wurde von mehreren Staaten erarbeitet und in der Runde der 27 gebilligt.
Während EU-Vertreter sie als wirksame Koppelung bezeichneten, zitierte die polnische Nachrichtenagentur PAP polnische Regierungsquellen mit der Einschätzung, die Koppelung sei gestrichen worden. Ungarische Medien feierten die Einigung als Sieg für Ministerpräsident Viktor Orban.
Von der Leyen und Michel bestritten, eine starke Lösung sei zugunsten des Kompromisses geopfert worden. Mit qualifizierter Mehrheit der EU-Staaten könnten bei Verstößen Maßnahmen ergriffen werden, sagte von der Leyen. Zufrieden äußerte sich auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, der die Rechtsstaatsklausel zur Bedingung für eine Zustimmung gemacht hatte. »Damit können die Auszahlungen gestoppt werden.«. Er ergänzte aber: »Mein Ziel ist nicht, die Notbremse zu ziehen.«
Von der Leyen selbst äußerte auch Kritik an einigen Kompromissen. So seien der Haushaltsrahmen und das Corona-Hilfsprogramm - der offizielle Name ist Next Generation EU - stark verändert worden. Einschnitte habe es bei Finanzen für Gesundheit, Migration und Investitionen in Drittstaaten gegeben. »Das ist bedauerlich«, sagte von der Leyen.
Die »Sparsamen Vier« - die Niederlande, Österreich, Dänemark, Schweden - erreichten etliche teure Zugeständnisse. Sie sollen deutlich höhere Nachlässe auf ihre Einzahlungen in den EU-Haushalt bekommen als ursprünglich vorgesehen. So wurde etwa die jährliche Rabattsumme für Österreich von 237 Millionen Euro auf 565 Millionen Euro angehoben, was einer Steigerung um 138 Prozent entspricht.
Nun muss noch das EU-Parlament zustimmen. Von der Leyen kündigte Verhandlungen ab nächster Woche an. Kanzlerin Merkel sagte »sehr schwierige Diskussionen« mit dem Europaparlament voraus.
Grüne und Linke sind vom Gipfel enttäuscht
Der Linken-Europapolitiker Martin Schirdewan äußerte sich kritisch zum Ergebnis des Gipfels. »Der Gipfel war eine große Enttäuschung für diejenigen, die hofften, Solidarität sei ein gemeinsames Gut in der EU«, erklärte der Fraktionschef seiner Partei im Europaparlament. »Die politischen Chaostage in Brüssel bestärken jedes Mitgliedsland darin, künftig seine Egoismen auf Kosten der Gemeinschaft durchzusetzen.«
Auch die Grünen äußerten sich enttäuscht über die Ergebnisse des EU-Gipfels. Die Kompromisse seien zwar »dringend nötig« gewesen, hätten aber nur um einen »hohen Preis« erzielt werden können, kritisierte die Grünen-Europaexpertin Franziska Brantner. Sie äußerte mehrere konkrete Kritikpunkte: »Massive Kürzungen gerade bei den modernen Budgets für Forschung und Klima, hohe Rabatte für die Gruppe der 'Sparsamen' - und die Frage der Rechtsstaatlichkeit wurde geschoben«.
Besonders unzufrieden zeigte sich Brantner über den Kompromiss in der Frage, wie EU-Gelder künftig bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit gekürzt werden können. Hier habe sich Ungarns Ministerpräsident Victor Orban mit seinen »Erpressungen« durchgesetzt, kritisierte sie. Der Kompromiss sichere dem »Demokratiezerstörer« Orban de facto ein Veto-Recht zu, erklärte Brantner.
Ungarn und Polen stehen wegen der Untergrabung von Werten wie der Pressefreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz seit Jahren in der EU am Pranger. Orban habe nun erreicht, »dass die Ausgestaltung eines Rechtsstaatsmechanismus weiter einstimmig entschieden werden soll, obwohl es dafür eigentlich im Rahmen der Haushaltsordnung nur eine qualifizierte Mehrheit braucht«, erklärte Brantner.
Der Gipfel habe »einmal mehr gezeigt, dass der Europäische Rat mit seiner Intransparenz und seinem Prinzip der Einstimmigkeit an seine Grenzen kommt«, kritisierte die Europapolitikerin. Agenturen/nd
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