Sparen am falschen Ende
Nördliche EU-Staaten drücken bei Gipfel Hilfen für von der Coronakrise schwer getroffene Länder
Berlin. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben sich bei ihrem Gipfel in Brüssel auf das größte Finanzpaket in der Geschichte des Staatenverbunds geeinigt. Mit mehr als 1,8 Billionen Euro sollen der Haushalt der Jahre 2021 bis 2027 und ein Wiederaufbaufonds gegen die Folgen der Coronakrise ausgestattet werden. Der Haushalt hat laut Abschlussdokument ein Volumen von rund 1,1 Billionen Euro, für den Wiederaufbaufonds kommen weitere 750 Milliarden Euro hinzu.
Das Treffen war am Freitag gestartet. Umstritten war eine Reihe von Punkten. So gelang es Österreich und weiteren Ländern, die Höhe der Zuschüsse im Wiederaufbaufonds zu senken. Dies geht zulasten der von der Krise besonders gebeutelten Staaten im Süden Europas. Die deutsche Bundesregierung und die Franzosen hatten 500 Milliarden Euro vorgeschlagen, nun sind es 390 Milliarden.
Das Finanzpaket muss noch mit dem Europäischen Parlament verhandelt werden. Der EU-Abgeordnete Sven Giegold (Grüne) bemängelte, dass beim gerechten Übergang in den Klimaschutz und einer gemeinsamen europäischen Gesundheitspolitik gekürzt wurde. Laut Deutscher Umwelthilfe ist die 30-Prozent-Vorgabe des Sonderfonds zu gering. Um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen, seien mindestens 40 Prozent nötig. Die Hilfsorganisation Oxfam kritisierte außerdem, dass gegenüber früheren Plänen Gelder für Entwicklungshilfe gestrichen worden seien.
Linksfraktionschef Martin Schirdewan sagte gegenüber »nd.Der Tag«, dass der solidarische Grundgedanke gegenüber nationalstaatlichen Eigeninteressen verloren habe. Seine Fraktionskollegin Özlem Alev Demirel wies zudem darauf hin, dass die Europäische Union mit dem neuen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen über mehrere Töpfe verteilten milliardenschweren Militärhaushalt erhalten soll.
Sehr zufrieden äußerten sich hingegen Vertreter der rechten Regierungen in Polen und Ungarn. Ein Sprecher des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki erklärte, der Regierungschef habe »die bisher höchsten EU-Mittel für Polen« ausgehandelt. Gleichzeitig habe Morawiecki gemeinsam mit seinem ungarischen Amtskollegen Viktor Orban »willkürliche politische Mechanismen zu Budgetkürzungen blockiert«.
Zwar haben die Staats- und Regierungschefs sich grundsätzlich darauf verständigt, die Auszahlung von EU-Geldern künftig mit der Einhaltung von Rechtsstaatlichkeitsprinzipien zu verknüpfen. Doch der EU-Rat der Mitgliedstaaten müsste einer Kürzung von EU-Geldern an einzelne Staaten mit einer qualifizierten Mehrheit von 55 Prozent der Länder zustimmen, die gleichzeitig mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung ausmachen. Von Kürzungen bedrohte Staaten könnten leicht eine Sperrminorität zusammenbekommen. Über Details des Rechtsstaatsmechanismus soll noch diskutiert werden.Agenturen/nd Seite 2
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