Wir gehen da gemeinsam durch

Idil Baydar und ihre Mitstreiterinnen wehren sich gegen die Drohmails des NSU 2.0.

  • Mischa Pfisterer
  • Lesedauer: 6 Min.

Grüße an den OberSTRUMPFbandführer - ihr bekommt uns nicht klein.« Diese Ansage von Seda Başay-Yıldız auf Twitter vor gut einer Woche löste eine Welle der Solidarisierung aus. Die Rechtsanwältin, die im Münchener NSU-Prozess die Familie des ermordeten Enver Şimşek vertrat, wird seit August 2018 von Neonazis mit Hassmails und Hassbriefen bedroht. Başay-Yıldız findet: Jetzt reicht’s. Und sie ist nicht allein. »Wir lassen uns nicht einschüchtern: Das ist die klare Botschaft«, sagt die Berliner Kabarettistin Idil Baydar, die sich mit Başay-Yıldız und den ebenfalls über Mails und Briefe attackierten Linke-Politikerinnen Janine Wissler, Martina Renner und Anne Helm jetzt zusammengetan hat, um sich gegenseitig zu unterstützen.

»Diese Truppe wurde nicht freiwillig zusammengestellt. Aber ich bin froh, so tolle Frauen an meiner Seite zu wissen«, schreibt Anne Helm, Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus, auf Twitter mit Blick auf ihre Mitstreiterinnen. Man stehe zusammen und kämpfe gemeinsam dafür, nun endlich Ermittlungserfolge zu sehen, sagt Idil Baydar zu »nd«. »Die Frauen sind alle so der Hammer! Wir kommen ja alle aus unterschiedlichen Bereichen, aber es gibt mir so viel Kraft, dass wir zusammenhalten und da gemeinsam durchgehen«, so Baydar. Wie Başay-Yıldız, Helm, Wissler und Renner hat auch Baydar mehrere Schreiben erhalten - unterzeichnet mit »NSU 2.0«. Dass auch ihre Daten von einem hessischen Polizeicomputer abgerufen wurden, hat die Kabarettistin aus der Presse erfahren.

Es ist dabei nicht das erste Mal, dass die 45-Jährige Morddrohungen erhält. Insgesamt acht waren es allein im vergangenen Jahr, in dem Fall per SMS, unterzeichnet mit »SS-Obersturmbannführer«, die letzte kurz vor der Gedenkfeier für die Opfer des Brandanschlags in Mölln am 17. November 2019 in Frankfurt am Main. Wenn sie die »Möllner Rede im Exil« halten werde, teilte ihr »SS-Obersturmbannführer« mit, dann »knalle ich dich ab«. Sie spricht trotzdem, unter Polizeischutz. Die Drohnachricht bringt sie wie alle anderen auch zur Anzeige. Und wie bei allen anderen wird auch dieses Verfahren eingestellt. »Das Einzige, was die Polizist*innen bei ihrem sogenannten Sicherheitsgespräch gemacht haben, war mir zu raten, meine Handynummer zu wechseln«, berichtet Baydar. »Ich habe mittlerweile Angst vor der Polizei.«

Was sagt das über einen demokratischen Staat aus, wenn sich eine Künstlerin so fühlt? Heike Kleffner, Geschäftsführerin des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt mit Sitz in Berlin, kann die Angst verstehen. »Offensichtlich wurden die Drohmails des NSU 2.0 entgegen aller öffentlichen Beteuerungen von den Ermittlungsbehörden lange nicht ernst genommen.« Auch ein rechtsextremes Netzwerk will Kleffner nicht ausschließen. Sie verweist auf den Mord an Walter Lübcke. »Auch der CDU-Politiker stand auf Feindeslisten. Die Frauen müssen damit rechnen, dass die Täter auch umsetzen, was sie ankündigen.«

»Die Mails sind eine Mischung aus formalem Behördensprech und expliziten Gewalt- und Vergewaltigungsdarstellungen«, sagt Linke-Politikerin Anne Helm zu »nd«. Fünf solcher Mails hat sie in den vergangenen Tagen erhalten. »Die Täter haben ein klar faschistisches Weltbild. Das geht aus den Schreiben eindeutig hervor.« Der Austausch mit den anderen betroffenen Frauen sei auch für sie sehr wichtig, denn durch die persönlichen Informationen, die die Täter haben, werde die Bedrohungssituation für die Frauen massiv verstärkt, so Helm, die auch Sprecherin der Berliner Linksfraktion für Strategien gegen rechts ist.

Spricht man Idil Baydar auf die Täter an, wird es schnell laut. Fast ruft sie mit ihrer tiefen Stimme: »Ich frage mich ja wirklich: Was nehmen diese Typen eigentlich?« Da sitzt es auf einmal, ihr anderes Ich mit der »krassen Sprache« - Jilet Ayşe. Tausende haben bereits ihre Videos im Internet angeklickt. Jilet ist ein Youtube-Star. Im Trainingsanzug und mit fetten Klunkern behängt, erzählt sie von den täglichen Problemen zwischen Türk*innen und Deutschen und konfrontiert das Publikum mit seinen eigenen Vorurteilen gegenüber Migrant*innen. Baydar sagt, dass sie Jilets Sprache auch erst lernen musste. Ihre Tätigkeit als Sozialarbeiterin in Berlin-Neukölln, und hier vor allem an der Rütli-Schule, sei dabei durchaus hilfreich gewesen. Irgendwann 2011 habe sie Jilet einfach auf den Straßen Berlins gefunden.

Aufgewachsen ist Baydar im niedersächsischen Celle. Im Sandkasten hört Idil Baydar zum ersten Mal, ihr Name sei ja kein deutscher. »Ich habe mir darüber keine weiteren Gedanken gemacht, weil ich das nicht in einen größeren Kontext einordnen konnte.« Damals, sagt Baydar, dachte sie ja auch, es sei völlig normal, dass jedes Kind jedes Jahr im Sommer in die Türkei fährt. Auch auf der Waldorfschule, die sie in Celle besucht, sei das kein Thema gewesen. Erst als sie mit 15 in die Berliner Siemensstadt zog, habe es angefangen, eine Rolle zu spielen, wer was ist. »Ich wurde zur Migrantin gemacht, obwohl ich hier geboren bin und damit auch Teil der Gesellschaft bin. Und das als Waldorfschülerin. Und auf dem Internat war ich auch noch. Deutscher geht’s ja wohl nicht.«

Mit den Pogromen in den 1990er Jahren habe sich der Wind dann komplett gedreht. »Ich war 18 Jahre alt und habe zum ersten Mal Schmerz erlebt, was meine Identität in Deutschland betrifft«, sagt Baydar. »Ich habe geweint, weil ich nicht verstanden habe, warum man Türken tötet.« Danach kam die Wut. Und später schließlich Thilo Sarrazin mit seinen wirren Auslesethesen. »Da dachte ich: Okay, ihr wollt die Kanakin. Könnt ihr haben!« Sie hat gerappt, ist im Fernsehen aufgetreten, hat Theater gespielt, im vergangenen Jahr war sie mit ihrem eigenen Programm auf Tour.

Heute, sagt Baydar, wisse sie, dass »die Sache mit Sarrazin« erst der Anfang war. Die NSU-Mordserie, der Neonazi-Anschlag am und im Münchener Olympia-Einkaufszentrum, der Mord an Lübcke, Halle, Hanau: Was kommt als nächstes? »Die Täter-Opfer-Umkehr und der institutionelle Rassismus der polizeilichen Ermittlungen im NSU-Komplex haben das Vertrauen vieler in die Polizei nachhaltig gestört. Was bis heute immer wieder verpasst wurde: den Betroffenen zuzuhören, ihre Forderungen nach tiefgreifenden Veränderungen ernst zu nehmen - diese Möglichkeit und auch Chance hat die Polizei nach dem NSU-Komplex überwiegend vertan«, sagt Heike Kleffner zu »nd«.

Mittlerweile wurde Idil Baydar ein weiteres Gespräch bei der Polizei angeboten. Auch der neue hessische Sonderermittler Hanspeter Mener hat sich mit ihr in Verbindung gesetzt. »In der Vergangenheit wurde mein Vertrauen in die Polizei nun wirklich nicht gestärkt. Ich fände es schön, wenn man mir mal sagt, was da los ist«, sagt Baydar. Und auch sie will, dass ihre »Belange ernst genommen werden«.

Nächste Woche fährt Baydar erst einmal in den Urlaub.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -