Die Zeit drängt

Nach der Festnahme eines bayerischen Ehepaars haben Bedrohte keinen Grund zum Aufatmen

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

In einem Podcast kann man Katrin Göring-Eckardt sehen - eine der Adressatinnen der Drohmails, die mit »NSU 2.0« unterzeichnet waren: »Der Kampf gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen Menschenfeindlichkeit und gegen den Hass geht weiter. Ihr macht mir keine Angst, ihr kriegt mich nicht klein.« Die Vorsitzende der Grünen im Bundestag zeigt Courage. Davon zu wenig aufzubringen, wird nun allerdings den Grünen in Hessen vorgeworfen. Sie müssten Fristen zur Aufklärung setzen und den Regierungspartner, die CDU, mit der Koalitionsfrage konfrontieren, fordern Berliner Parteifreunde der hessischen Grünen. Und Jan Schalauske, Vorsitzender der Linken in Hessen: »Von einer Partei, die sich einst den Antifaschismus auf die Fahnen geschrieben hat, darf man doch mehr erwarten als das Schweigen im Walde.«

Der Groll ist nachzuvollziehen. Gerade hatte CDU-Innenminister Peter Beuth vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages demonstriert, was das Problem der Behörden seit bereits zwei Jahren ist. Seit die ersten Drohschreiben bekannt wurden, mauern die Ermittlungsbehörden, hüllen sich auf Anfragen in Nebel und rücken mit der Wahrheit nur heraus, wenn diese praktisch schon bekannt ist. Dies erinnert fatal an die Praktiken des Verfassungsschutzes bei der Aufklärung der Taten des NSU, des Nationalsozialistischen Untergrunds. Erst recht, da die ersten Drohmails 2018 ausgerechnet an die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz gingen, die Angehörige der Opfer des NSU verteidigt hatte, jenes Mördertrios, das über mehrere Jahre hinweg insgesamt zehn Menschen getötet hatte.

Alarmierend ist deshalb auch die Erkenntnis, dass die Verfasser von Drohmails in zumindest einigen Fällen auf Polizeicomputer zugreifen konnten, um persönliche Daten ihrer Adressaten zu erhalten. Der Verdacht, dass staatliche Behörden erneut Grund bieten, ihrem Ermittlungswillen zu misstrauen, steht im Raum. Schlimmer noch ist: Niemand kann ausschließen, dass der oder die Verfasser der Drohmails, die inzwischen an rund 70 Empfänger versendet wurden, die Hilfe von Polizisten hatten. Oder gar, noch schlimmer, selbst Polizisten sind.

Der Verdacht erhielt am Freitag neue Nahrung, als bekannt wurde, dass ein ehemaliger Polizist und seine Ehefrau im bayerischen Landshut vorläufig festgenommen worden waren, weil sie womöglich solche Drohbriefe verfasst haben. Die Wohnung der beiden wurde durchsucht, Datenträger wurden sichergestellt, die Ermittlungen laufen. Das Ehepaar ist inzwischen wieder frei. Es handelt sich um einen ehemaligen bayerischen Polizeibeamten, der nach Behördenangaben bereits wegen rechtsmotivierter Straftaten in Erscheinung getreten war. Es sei um Volksverhetzung und Beleidigung gegangen, teilte die Frankfurter Staatsanwaltschaft mit. Der 63-Jährige schied bereits vor 16 Jahren aus dem Polizeidienst. Gleichwohl droht Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit Konsequenzen. Auch ein Beamter im Ruhestand dürfe sich nicht extremistisch betätigen. »Sollte sich der Verdacht bestätigen, drohen dem ehemaligen Beamten harte dienstrechtliche Sanktionen bis hin zur Aberkennung des Ruhegehalts.«

Der ehemalige Polizist und seine 55 Jahre alte Ehefrau sind verdächtig, »mehrere E-Mails mit beleidigenden, volksverhetzenden und drohenden Inhalten an Bundestagsabgeordnete und verschiedene andere Adressaten verschickt zu haben«. Der Ex-Polizist bestreitet dies. Der »Landshuter Zeitung« sagte er, sein Name samt Anschrift »und allem Pipapo« stehe am Ende der Drohmail, die zu seiner Festnahme führte. »Da stehen äußerst unflätige Sachen wie Verbrennen und Vergasen drinnen.« Dieser »unterirdische Schreibstil« entspreche ihm nicht. Linke Rechercheteams vermuten, dass es sich bei dem Mann um einen Autor handelt, der sich unter dem Pseudonym »Eugen Prinz« auch regelmäßig auf dem rechten Portal »Politically Incorrect« in hetzerischen Tiraden ergeht. Auch einige Drohmails waren so unterschrieben. Das Pseudonym soll wohl an Prinz Eugen erinnern, den habsburgischen General, der sich einst im Kampf gegen die Türken vor Wien erste Meriten verdiente.

Die Frankfurter Staatsanwaltschaft wirft dem Landshuter Ehepaar vor, sechs Personen per Mail bedroht zu haben. Das ist freilich nur ein Bruchteil der in den vergangenen zwei Jahren registrierten Drohungen an Politikerinnen und Politiker der Linken und der Grünen, aber auch Personen wie die Kabarettistin Idil Baydar und die Anwältin Basay-Yildiz. Denkbar ist auch, dass »Trittbrettfahrer« die Taten nachahmen.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschuldigten im Zusammenhang mit dem Abruf persönlicher Daten von hessischen Polizeicomputern stehen. Doch dies zu ermitteln und die Untersuchungen auf bayerische Polizeicomputer auszuweiten muss nun Aufgabe der Staatsanwaltschaft sein.

Das Problem betrifft ja keine Ausnahme. Bundesweit wurden gegen Polizeibeamte wegen unberechtigter Datenabfragen seit 2018 mehr als 400 Ordnungswidrigkeits-, Straf- oder Disziplinarverfahren eingeleitet. Das ergab eine Umfrage der »Welt am Sonntag« bei den Innenministerien und Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern. Eine zweistellige Zahl von Verfahren wurde eingestellt oder befindet sich noch in Prüfung. Klar ist angesichts der Drohungen in den Mails: Die Zeit drängt. Und dass der bayerische Verfassungsschutz sich nun in die Ermittlungen eingeschaltet hat, wie Minister Herrmann am Dienstag bestätigte, ist angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre nicht unbedingt ein Grund zur Beruhigung für die Betroffenen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -