Notorisch unbequem
Vor 200 Jahren warnte Heinrich Heine: »Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen«
Bis heute eilt dem gebürtigen Düsseldorfer der Ruf voraus, ein unbequemer Dichter zu sein. Sein Kampf gegen reaktionäre Tendenzen und für die Freiheit des Wortes ist heute aktueller denn je.
»Ich weiß nicht, was soll es bedeuten ...« - »Die Loreley«, geschrieben 1823, ist hierzulande das wohl bekannteste Gedicht Heinrich Heines. Obwohl der Autor im »Nationalsozialismus« zu den verbrannten Dichtern gehörte, blieb es - mit der Bemerkung »Dichter unbekannt« versehen - in deutschen Schulbüchern präsent. Man stufte es dereinst als politisch harmlos ein. Doch das »Märchen aus alten Zeiten«, das seinem Autor »nicht aus dem Sinn« kommt, war der Klageruf eines deutschen Emigranten und entbehrte keineswegs politischer Sprengkraft.
Heinrich Heine, 1797 als ältestes von vier Kindern eines reichen jüdischen Kaufmanns in Düsseldorf geboren, sagt man bis heute nach, ein unbequemer Dichter zu sein. In Frankreich bewunderte man seinen unerschrockenen Kampf gegen Vorurteile, Herzensträgheit und Denkfaulheit; die Deutschen aber betrachteten ihn als Ärgernis. Sich zu Heine zu bekennen, hat zum Teil noch heute eine provokative Note: Der Autor gilt als notorisch unzeitgemäß, als ein deutscher Sonderfall. Bereits dem jungen Heine ist jede reaktionäre und nationalistische Gesinnung fremd. Noch als Schüler und später als Lehrling im Bankhaus seines Onkels Salomon Heine beginnt er im Jahr 1815 regelmäßig zu schreiben.
1820 lernt er den Literaturkritiker August Wilhelm Schlegel kennen und schreibt - neben dem ersten Prosatext »Die Romantik« - das Drama »Almansor«. Nahezu sämtliche Sympathieträger in der Tragödie sind Muslime oder zwangsgetaufte Ex-Muslime. Der berühmteste Satz des Toleranzstückes lautet: »Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.«
Ausgelöst wurde die Einlassung durch die Ereignisse auf dem Wartburgfest, bei dem drei Jahre zuvor patriotische Studenten nicht nur Bücher und Symbole der Fürstenherrschaft verbrannten, sondern auch die aufklärerische Schrift »Germanomanie« des jüdischen Autors Saul Ascher. Der Berliner Heinrich Heine befürchtete schon damals, dass nach der »Verdammung der Juden« auch »Inder, Mohammedaner, Chinesen und ungläubige Barbaren an die Reihe kommen«. Besorgt analysiert der 23-jährige Student die beängstigenden Vorgänge auf der Wartburg, den »unbeschränkten Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte«, dessen Liebe aber nichts anderes war als Hass auf den Fremden und dessen Glauben, und dessen Unvernunft Unwissenheit geschuldet war und der darob nichts Besseres wusste, als Bücher zu verbrennen. Heute wird Heines Zitat als visionär für die Bücherverbrennung in Nazideutschland betrachtet und ist als Inschrift auf mehreren Mahnmalen sowie in Gedenkstätten zu lesen.
1825 konvertiert Heine zum Christentum. Er hat sich nie mit seiner jüdischen Herkunft identifiziert, leidet dennoch unter dem wachsenden Antisemitismus seiner Zeit und will seine Integration in das europäische Geistesleben befördern. Er ist ein glühender Verehrer Napoleons. 1831 schließlich, nach einem Jurastudium in Göttingen und Berlin, verlässt er das restaurative Deutschland in Richtung Frankreich. Seine Erkenntnis: »Und bleibst du auch im Vaterhaus,/ Wirst doch wie in der Fremde sein.« Diese »Flucht« verzeihen ihm die Deutschen nicht; sie beschimpfen ihn als »Judenlümmel« und »Französling«. Im Pariser Exil muss er erfahren, dass seine Schriften in der Heimat verboten werden, weil sie angeblich »das Heiligste verspotten« und »die Religion angreifen«.
Das Leben in Frankreich ermöglicht dem Autor einerseits einen unbestechlichen Blick von außen auf die Zustände in seiner Heimat, beschert ihm andererseits aber Einsamkeit bis hin zur Isolation. Wie keiner vor ihm und nach ihm nur Kurt Tucholsky, beäugt Heine fortan sein Heimatland, das er nur noch sporadisch besucht, voll Hass und Hohn.1843 reist er von Aachen nach Hamburg, um dort seinen Verleger zu treffen, immer in der Gefahr, aufgegriffen und verhaftet zu werden. Seine Erfahrungen verarbeitet er im berühmten Gedichtzyklus »Deutschland. Ein Wintermärchen«. Er nennt es sarkastisch ein »höchst humoristisches Reise-Epos«.
Heinrich Heine sitzt in jeder Hinsicht zwischen den Stühlen. Als überzeugter, kämpferischer Individualist ist ihm die Freiheit des Individuums höchstes Gebot, die Einhaltung der Menschenrechte primäre Aufgabe. Trotz beißender Sozialkritik versteht er sich jedoch nie als Anarchist oder Revolutionär im ideologischen Sinne. Im Gegenteil: Obwohl er durch seine Gespräche mit Karl Marx, den er in Paris kennenlernt, mit den neuen kommunistischen Ideen in Berührung kommt und die Notwendigkeit einer zukünftigen »Herrschaft des Plebejers« (Hans Mayer) bejaht, lehnt er diese als übersensibilisierter Künstler kategorisch ab. Dessen ungeachtet setzt er sich selbstlos für Benachteiligte ein, äußert sich aber mit aristokratischer Überheblichkeit über die Masse: »Es ist durchaus nicht bildlich, sondern ganz buchstäblich gemeint, dass ich, wenn mir das Volk die Hand gedrückt, sie nachher waschen werde.«
Das Werk des Heinrich Heine steht jenseits der Religionen, Weltanschauungen und gesellschaftlichen Systeme. Er korrespondiert mit den politisch engagierten Schriftstellern des »Jungen Deutschland«, ohne sich als einer der ihren zu begreifen; er berührt die Epoche der Romantik, ohne ganz in ihr beheimatet zu sein - obwohl viele Gedichte von ihm als Inbegriff deutscher romantischer Lyrik gelten.
Schon lange vor der Austreibung des Geistes in Deutschland durch die Nazis war Heines Stellung im Kanon der deutschen Literatur umstritten. Um jedes Denkmal, um die Benennung von Universitäten und öffentlichen Plätzen gab es langwierige kulturpolitische Diskussionen. Und obwohl die Deutschen »Die Loreley« und viele andere Lieder Heines - von Schubert, Schumann, Mendelssohn, Brahms und Wolf vertont - stolz als deutsches Kulturgut präsentierten, blieb ihnen ihr Autor immer suspekt. Die Deutschen und Heine, eine unglückliche Hassliebe, schwankend zwischen Bitterkeit und Sehnsucht: »Und als ich euch meine Schmerzen geklagt,/ Da habt ihr gegähnt und nichts gesagt;/ Doch als ich sie zierlich in Verse gebracht,/ Da habt ihr mir große Elogen gemacht.«
Nach acht Jahren in der »Matratzengruft«, in denen er sich die Freiheit nahm, wieder an Gott zu glauben, starb der an einer rätselhaften Rückenmarkserkrankung leidende Heine 1856 in Paris. Seine letzten Worte zu Ehefrau Mathilde lauteten: »Gott wird mir verzeihen, das ist sein Beruf.«
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