- Brandenburg
- Coronabedingte Erwerbslosigkeit
Keine Entspannung am Arbeitsmarkt
Die Erwerbslosigkeit wächst vor allem coronabedingt weiter - in Berlin sogar stärker als in Brandenburg
In der Hauptstadtregion nimmt die Arbeitslosigkeit weiterhin spürbar zu. Seit sich im April die Folgen der Corona-Pandemie und des Herunterfahrens des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens auszuwirken begannen, sind die Arbeitslosenzahlen Monat für Monat gestiegen. Im Juli hat sich dieser Trend, wenn auch leicht abgeschwächt, fortgesetzt.
Jüngsten Angaben der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit zufolge, die am Donnerstag veröffentlicht wurden, waren im Juli in Berlin 215 305 Menschen ohne Job. Das waren 5945 mehr als im Juni, vor allem aber 58 807 mehr als vor einem Jahr. »Insbesondere in Dienstleistungsbereichen, im Gastgewerbe und im Bereich Verkehr und Lagerwirtschaft liegen die Arbeitslos-Meldungen deutlich über den Vorjahreswerten«, heißt es in der Mitteilung der Arbeitsagentur.
Folgt man den veröffentlichten Daten, so steigt im benachbarten Brandenburg die Zahl der Erwerbslosen etwas sanfter als in der Hauptstadt. Ingesamt waren 87 304 Märker im Juli arbeitslos. Die Veränderung gegenüber dem Vormonat, ein Zuwachs von 1078 erwerbslosen Menschen, erscheint relativ moderat. Im Juli 2019 waren allerdings auch in den Arbeitsagenturen und Jobcentern des Landes 11 318 Arbeitslose weniger registriert. Besonders betroffen sind nach Agenturangaben derzeit in Brandenburg das Gastgewerbe, der Handel, die Dienstleistungsbereiche; doch auch in der Industrie meldeten sich inzwischen mehr Personen arbeitslos.
Offenkundig wird der Unterschied zwischen beiden Ländern, wenn man die Arbeitslosenquote vergleicht - in Berlin ist sie mit 10,8 Prozent wieder zweistellig. Eine lange sicher hinter sich gelassen geglaubte Marke. In Brandenburg verharrt sie weiterhin bei 6,5 Prozent verharrt.
»Brandenburg scheint in der Tat bisher mit einem blauen Auge davongekommen zu sein«, sagte die Sprecherin des Wirtschaftsministeriums, Claudia Lippert, dem »nd«. Im Hause werde das vor allem darauf zurückgeführt, dass die von der Landesregierung frühzeitig ausgeweiteten Kurzarbeitsregelungen gegriffen haben. Immer wieder habe Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) Brandenburgs Unternehmen ermutigt, keine Mitarbeiter zu entlassen, sondern vom Kurzarbeitergeld Gebrauch zu machen. Unmittelbar nach Ausbruch der Krise appellierte er: »Durch die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes wird Unternehmen schnell und gezielt geholfen, wenn sie mit ihren Beschäftigten durch das Coronavirus Arbeitsausfälle haben. Damit können Entlassungen effektiv vermieden werden, Mitarbeiter stehen unmittelbar nach der Krise wieder zur Verfügung und Arbeitsplätze werden gesichert.«
Brandenburgs Linke setzt die Landesregierung dennoch unter Handlungsdruck. Nach Einschätzung von Landtagsfraktionschef Sebastian Walter wird sich das ganze Ausmaß der Corona-Pandemie erst in den kommenden Monaten in den Statistiken niederschlagen. Viele Brandenburger seien aber schon jetzt in ihrer Existenz bedroht. Zudem schiebe das bis zum 30. September ausgesetzte Insolvenzrecht eine Pleitewelle vor sich her, die vor allem Hotel- und Veranstaltungsbranche sowie Gastgewerbe gefährde. »Die Brandenburger Landesregierung lässt leider zu oft den versprochenen Unterstützungsmaßnahmen keine Taten folgen. Immer noch werden die Solo-Selbstständigen und die Kleinstbetriebe im Regen stehen gelassen, und immer noch verschließt die Landesregierung davor die Augen.« Die Linke werde daher für Brandenburg ein Unternehmer-Grundeinkommen von 1080 Euro pro Monat beantragen und fordert, die gezahlten Soforthilfen unter Vertrauensschutz zu stellen, um eine Rückzahlungswelle zu verhindern.
Auf dem Berliner Arbeitsmark hinterlässt die Pandemie nach Einschätzung von Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, immer tiefere Spuren. Obwohl die Unternehmen versuchten, trotz der Krise ihre Beschäftigten zu halten, seien viele Stellen verloren gegangen. »Kurzarbeit ist weiterhin das wichtigste Mittel, um den Nachfrageeinbruch abzufedern«, sagte er. Mit Blick auf das Infek᠆tionsgeschehen sei Wachsamkeit geboten, um die Rückkehr zu einem halbwegs normalen Wirtschaftsleben nicht zu gefährden.
Den kontinuierlichen deutlichen Anstieg der Arbeitslosenzahl in Berlin-Brandenburg führt die Bundesagentur für Arbeit ausdrücklich »vor allem auf die Folgen der Corona-Pandemie« zurück, »die in vielen Bereichen der Wirtschaft zu Umsatzeinbrüchen und Auftragsrückgängen geführt hat«. Die saisonbedingten Effekte, die alljährlich in den Ferienmonaten zu höherer Arbeitslosigkeit führen, wirkten da nur zusätzlich.
»Wenngleich die Arbeitslosenzahlen nicht mehr so stark gestiegen sind wie im April und Mai, zeigt die Entwicklung, dass wir noch lange nicht durch sind«, erklärte Bernd Becking, Chef der Regionaldirektion der Bundesarbeitsagentur. Man werde noch für längere Zeit erheblich mehr Kurzarbeit als vor der Coronakrise sehen. In den Unternehmen sollte diese Zeit für den Neustart gut genutzt werden, um mit Unterstützung der Arbeitsagenturen Weiterbildung und Qualifizierung zu organisieren und sich so für später einen Vorsprung zuverschaffen, so Becking.
Schwieriger ist laut Agenturchef auch die Lage auf dem Berliner Ausbildungsmarkt geworden, auch weil einige Unternehmen in diesem Jahr die Ausbildung ausgesetzt haben. Dennoch seien im Juli in Berlin noch über 6300 Ausbildungsplätze frei gewesen, in Brandenburg mehr als 6000. »Für jeden Jugendlichen lässt sich eine Option finden.«
Berlins Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Linke) teilt diesen Optimismus so nicht. In diesem Jahr bedrohe die Corona-Pandemie die Zukunft vieler Betriebe und bringe viele Unsicherheiten mit sich, sagte sie. »Die Leidtragenden sind dabei auch die ausbildungsinteressierten und -willigen Jugendlichen.« Den freien Plätzen stünden in Berlin 8491 Jugendliche gegenüber, die derzeit noch eine Ausbildungsstelle suchen. Der Druck auf den seit Jahren angespannten Ausbildungsmarkt steige weiter, auch weil der Anteil der Berliner Betriebe, die ausbilden, 2019 nochmals gesunken sei und bei nur 11,2 Prozent liege.
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