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Start auf weißen Straßen
Mit dem Strade Bianche beginnt die World Tour. Die Radsportlerinnen sorgen sich
Die Straßen der Toskana rufen. Mit dem Strade Bianche in Siena, benannt nach den »weißen Straßen« wegen des dort oft verwendeten weißen Schotters, beginnt an diesem Sonnabend der World-Tour-Kalender bei den männlichen - und den weiblichen - Radprofis. Seit 2007 existiert das Männerrennen, das sich schnell einen Kultstatus erarbeitete - eben wegen der unbefestigten Straßenabschnitte, die an die Pflastersteinsektoren bei Paris-Roubaix erinnern. Seit 2015 immerhin tragen auch die Frauen ihren Kampf gegen Gelände, Staub und Lehm dort aus.
Einige Wettkampfkilometer haben die Athletinnen und Athleten sich mittlerweile bei unterklassigen Rennen geholt. Während das neue Covid-19-Reglement bei der Sibiu-Tour in Rumänien recht erfolgreich umgesetzt wurde, gab es bei den Eintagesrennen der Frauen in Spanien Probleme. »Einige Teams sind ohne Coronatests zu den Rennen in Spanien angereist«, erzählt Ronny Lauke, Chef des deutschen Rennstalls Canyon Racing, gegenüber »nd«. »Die Veranstalter haben dann zum Glück selbst die Tests organisiert. Für manche Teams waren die Ergebnisse aber nicht rechtzeitig zur Stelle, sodass ihre Fahrerinnen nicht starten durften.« Grund für die fehlenden Tests war, dass diese Teams offenbar gar nicht das Budget dafür haben.
Die gute Nachricht ist, dass die Organisatoren selbst Sorge trugen, dass überhaupt eine »Hygieneblase« rund um die Teams entstehen konnte. Die doppelte Sicherheit, die das Protokoll des Weltverbands mit zwei Tests - einen sechs, den anderen drei Tage vor den Rennen - vorsieht, konnte aber nicht erreicht werden. Wegen dieser Unwägbarkeiten und auch ob der ansteigenden Infektionszahlen in Nordspanien ließ das Team CCC Liv um die niederländische Legende Marianne Vos die ersten beiden der insgesamt drei Wettkämpfe aus. »Während des Rennens könnten wir in Kontakt mit Fahrerinnen kommen, die sich, wie sich herausgestellt hat, nicht dem obligatorischen PCR-Test unterzogen haben«, begründete Manager Eric van den Boom die Absage.
Weil letztlich nur getestete und allesamt mit negativen Ergebnissen ausgestattete Fahrerinnen zum Start zugelassen waren, entschied sich Lauke für eine Teilnahme. Das Rennen, wie auch die beiden folgenden, gewann Annemiek van Vleuten. Die Niederländerin hatte schon in der letzten Saison die Szene dominiert, was durchaus Frust bei anderen Teams auslöst. »Es ist sicherlich schon irgendwo ein Kraut gegen sie gewachsen. Wir haben es nur noch nicht gefunden«, meint Lauke trocken. »Im Duell eins gegen eins ist sie gegenwärtig nicht zu schlagen. Sie hat sich in den letzten Jahren eine Dominanz erarbeitet. Wir können ihr nur mit Teamtaktik begegnen«, sagt Lauke. Van Vleuten gewinnt ihre Rennen oft mit frühen Attacken. Und anstatt sie komplett die Führungsarbeit machen zu lassen und so zu erschöpfen, helfen ihre Fluchtgenossinnen oft eifrig mit - in der Hoffnung, im Sog der aktuellen Überfrau zumindest einen Podestplatz zu erringen. Für einen Sieg der Konkurrentinnen reicht es nicht: Bei allen vier Rennen in dieser Saison, bei denen van Vleuten angetreten war, siegte sie auch.
Wirtschaftlich geht es den Radsportlerinnen ob der Einschränkungen durch Corona noch schlechter als den Männern. Etwa die Hälfte der Teams befürchtet laut Einschätzung von Lauke, der auch Sprecher der Vereinigung der Rennställe im Frauenradsport Unio ist, dass sie die Saison nicht überstehen. »Besonders betroffen sind die Rennställe, bei denen es ohnehin wirtschaftlich auf Kante genäht war«, meint er. Die Mehrausgaben allein für die Umsetzung der Hygienekonzepte beziffert er bei seinem Rennstall auf etwa 30 000 Euro. »Jetzt müssen wir gucken, wo wir das Geld dafür hernehmen«, sagt Lauke. Ins Auge gefasst hat er dabei den Forschungs- und Entwicklungsetat. »Das betrifft Entwicklungen des Materials, Windkanaltests für die aerodynamische Abstimmung und die Optimierung der Sitzposition auf dem Rad«, erläutert er und fragt mit Sorge: »Was machen aber die Teams, die so ein Budget erst gar nicht haben?« Weitere Kosten entstehen für die Teams durch die coronagerechte Unterbringung. »Wir müssen jetzt Einzelzimmer buchen«, erklärt Lauke. Die Veranstalter stellen den Teams traditionell Doppelzimmer zur Verfügung, das Einzelzimmer-Upgrade müssen die Rennställe übernehmen.
Allerdings ist noch nicht klar, wie viele Wettkämpfe in dieser Rumpfsaison noch ausgetragen werden können. Ursprünglich waren 18 Rennen der Womens World Tour in den Herbst gerettet worden. Vier Veranstalter gaben aber schon Absagen bekannt, darunter die Ladies Tour of Norway und die Boels Ladies Tour in den Niederlanden. In Gefahr sind wegen der gestiegenen Infektionszahlen in China auch die Tour of Chongming Island und die Tour of Guangxi. Werden sie auch abgesagt, hätten die Frauen in diesem Jahr nur ein einziges Etappenrennen - den Giro Rosa. Die restlichen Wettkämpfe sind allesamt Eintagesrennen, darunter erstmals die Frauenversion von Paris-Roubaix, weitere Klassiker wie die Flandern-Rundfahrt und Lüttich-Bastogne-Lüttich sowie die Begleitevents der Tour de France und der Vuelta der Männer. Die sind in diesem Jahr ebenfalls nur Eintagesrennen. In den vergangenen Jahren hatte zumindest der Tourveranstalter Aso mit zweitägigen Hybridversuchen operiert.
Klagen über die verkürzte Saison sind aber ebenso wenig zu hören wie Seufzer über einen zu dicht gepackten Rennkalender. »Wir freuen uns, dass es wieder losgeht«, meinte Elisa Longo Borghini vom Team Trek beim Auftakt in Spanien. Sie ist bislang die Einzige, die van Vleuten ernsthaft herausgefordert hat, indem sie noch früher als ihre Rivalin einen Fluchtversuch gestartet hatte. »Irgendwann wird van Vleuten zu schlagen sein«, macht sich Ina Teutenberg, Sportliche Leiterin bei Trek, Hoffnung auf die 136 Kilometer lange Jagd über die Schotterpisten.
Bei den Männern, die am Sonnabend nach den Frauen auf ihre 184 Kilometer lange Strecke gehen, ist die Ausgangslage offener. Favorisiert sind ehemalige und noch aktive Mountainbiker wie Peter Sagan, Wout van Aert oder Mathieu van der Poel. Und der ehemalige Toursieger Vincenzo Nibali will ebenso ein Wörtchen mitreden wie der Klassikerveteran Philippe Gilbert sowie das neue Rundfahrttalent Tadej Pogacar.
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