Das Zombieargument der AfD
Thüringer Landtag ringt um den Landesetat, und die CDU wirft der Koalition »ideologische Projekte« vor
Jeder, der einen Horrorfilm gesehen hat, weiß: Zombies kommen immer wieder. Hinter irgendeiner Ecke lauert der nächste, noch nicht gemeuchelte Zombie, der ziemlich genau so aussieht wie der vor ihm. Zombies kommen immer wieder. Und ziemlich genau nach diesem dramaturgisch nur bedingt wertvollen Plot funktioniert, was sich in der Thüringer Landespolitik derzeit abspielt, wo die Fraktionen des Landtages um den Haushalt für das Jahr 2021 ringen.
Weil mit diesem Landeshaushalt Thüringen aus der Coronakrise geführt werden soll, ist es von immenser Wichtigkeit, was dort drin stehen wird; wofür das Land also im nächsten Jahr Geld ausgeben will. Immer in der Hoffnung, über das Ausgeben von Steuergeld die Wirtschaft anzukurbeln, Familien zu unterstützen, Kommunen unter die Arme zu greifen. Zwar stimmen alle Abgeordneten allgemein diesen großen Zielen zu, doch über die Details streiten sie heftig. Denn der Haushaltsstreit bringt ein Argument zur Geltung, das wie ein Wiedergänger ist - Rot-Rot-Grün betreibe eine »ideologiegetriebene« Politik und gebe Geld vor allem für »Ideologieprojekte« aus. Vor allem die AfD hatte in den vergangenen Jahren und Monaten der Koalition aus Linken, SPD und Grünen diesen Vorwurf gemacht. Die Enquete-Kommission Rassismus hatten AfD-Leute in der Vergangenheit ebenso als rot-rot-grünes Ideologieprojekte beschimpft wie etwa die Einrichtung des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft oder die Förderung von Erneuerbaren Energien.
Seit Rot-Rot-Grün und die CDU aber öffentlich und nicht-öffentlich darüber streiten, was im Landeshaushalt 2021 stehen soll - den sie laut geltenden Vereinbarungen gemeinsam verabschieden müssen -, bemühen auffallend häufig auch CDU-Leute rhetorisch diesen Vorwurf. Als die CDU-Landtagsfraktion Anfang Juli die eigenen Prioritäten für den Landeshaushalt vorlegte, da schubste auch deren Vorsitzender Mario Voigt den Zombie aus der Ecke. Beim Förderprogramm für Lastenfahrräder im Umfang von bis zu 240 000 Euro, das Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) damals gerade angekündigt hatte, handele es sich um ein reines Ideologieprojekt, sagte er. So werde das Land nicht aus der Krise kommen. Überhaupt, sagte Voigt damals, sei sein Eindruck, Rot-Rot-Grün wolle die eigenen, lange gehegten »ideologischen Programme« auch im nächsten Jahr weiter finanzieren und dann noch coronabedingte Ausgaben oben drauf packen. Dafür stehe die Union nicht zur Verfügung. Aufgrund der einbrechenden Steuereinnahmen sei für Ideologieprojekte kein Geld da. So viel Gefallen hat die CDU offenbar inzwischen an den Ideologie-Zombies gefunden, dass bald darauf auch der designierte CDU-Landesvorsitzende Christian Hirte sich ihrer bediente, als er die Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs kommentierte, das von Rot-Rot-Grün erlassene Paritätsgesetz zu kippen. Dies sei das Ende »eines rein ideologischen Vorhabens«, erklärte Hirte da.
Und so wie es auch mit Zombies ist - die ja mal Menschen waren, ehe sie sich in Monster verwandelten - steht hinter dem Ideologievorwurf etwas, das man nicht auf den ersten Blick sieht. Denn tatsächlich ist dieser Vorwurf auf den ersten Blick ebenso wahr, wie er irreführend ist. Wahr ist er, weil sich Rot-Rot-Grün bei seiner politischen Arbeit natürlich von politischen Überzeugungen leiten lässt, die sich in den Parteiprogrammen der Parteien und in ihrem Koalitionsvertrag finden. Das kann man als Ideologie bezeichnen. Vor allem dann, wenn man diese politischen Überzeugungen nicht teilt.
Irreführend ist der Vorwurf aber, weil er suggeriert, dass nur Rot-Rot-Grün sich derart politisch verhält, während AfD und CDU eine ganz und gar »unideologische« Politik machen würden, sollten sie das Land führen. Nicht nur, dass das demokratietheoretisch Unsinn ist. Alle Parteien verfolgen politische Ziele, die sie dann selbstverständlich durchsetzen wollen, wenn sie die Chance dazu haben. Dass sie unterschiedliche politische Ziele verfolgen, liegt daran, dass es sich bei ihnen um verschiedene politische Parteien handelt. Vor allem aber hat die CDU im Laufe der vielen Jahre, die sie das Land regiert hat, gezeigt, dass auch sie bereit ist, »ideologische Projekte« durchzusetzen - worauf die Linke-Fraktionsvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow zuletzt verwiesen hat, um die Zombies zu vertreiben, die Voigt auf sie gehetzt hatte. Dass die CDU im Alleingang 2006 ein Landeserziehungsgeld eingeführt hatte, sei ebenfalls ein ideologische Projekt gewesen, hatte Hennig-Wellsow argumentiert.
Zombie abgewehrt. Bis zum nächsten Untoten also.
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