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Kühnert zieht es zu Scholz
Der Juso-Vorsitzende will vorzeitig seinen Posten abgeben und sich dann auf eine Kandidatur für den Bundestag konzentrieren
Kevin Kühnert strebt in den Bundestag. Zur nächsten Bundestagswahl wolle er im Berliner Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg für die SPD kandidieren - der Kreisvorstand habe sein Vorhaben wohlwollend aufgenommen, teilte der Juso-Vorsitzende nun öffentlich mit. Erst im November des vergangenen Jahres war er als Vorsitzender der Jungsozialisten wiedergewählt worden, praktisch parallel zu seiner Wahl als stellvertretender Vorsitzender des Parteivorstands. Die geplante Wahl der nächsten Juso-Spitze muss nun um ein Jahr vorgezogen werden - Kühnert will im November ausscheiden.
Er rechne damit, dass Kühnert breite Unterstützung im Kreisverband finden werde, sagte SPD-Kreischef Lars Rauchfuß am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Auf der Wahlkreiskonferenz im November könnte er als SPD-Direktkandidat gewählt werden. Hier im Kreis war auch der Berliner Regierende Bürgermeister Michael Müller als Kandidat der Abgeordnetenhauswahl gewählt worden. Das könnte nur dann zum Problem werden, wenn Müller ebenfalls für den Bundestag kandidieren wollte. In der letzten Zeit habe es jedoch mehrere Gespräche mit Müller und Kühnert gegeben, verriet Rauchfuß der Agentur.
In den Bundestag zu streben, ist das gute Recht und nachvollziehbar für jeden Menschen, der etwas Großes vorhat in der Politik. Kevin Kühnerts Vorhaben wirft allerdings zumindest die Frage auf: Warum verzichtet er dafür vorzeitig auf den Vorsitz bei den Jusos? Um dem Nachfolger oder der Nachfolgerin möglichst gute Ausgangsbedingungen zu schaffen, zur Bundestagswahl einen geschlossenen Jugendverband anzuführen? Die hätten es verdient, »dem SPD-Wahlkampf den eigenen Stempel aufzudrücken«, formulierte Kühnert jedenfalls.
Doch so selbstlos dürfte nicht einmal der 31-Jährige sein, der oft etwas peinlich berührt wirkt, wenn begeisterte Anhänger ihm ihre überschwängliche Sympathie und zugleich überbordende Erwartungen an seine künftige Rolle an der SPD-Spitze offerieren. Seine eigenen Erklärungen für den vorzeitigen Rückzug von der Juso-Spitze klingen in Kühnertscher Manier ausformuliert, ohne etwas preiszugeben. Man stelle sich politische Ämter nicht wie Pokale oder Trophäen in die Vitrine, sagte er. Die Jusos seien auch ohne ihn an der Spitze die wirkmächtigste Jugendorganisation in Deutschland. Und für einen Erfolg bei der Bundestagswahl müsse sich jedes SPD-Mitglied bestmöglich an der richtigen Stelle einbringen. Dies könne er als Bundestagsabgeordneter am besten tun. So zitierten ihn die Agenturen. Die Frage des »nd« nach seiner Begründung ließ er unbeantwortet.
Es ist noch nicht lange her, da hörte man Kühnert von einem notwendigen Neuanfang der SPD sprechen. Mit dem taufrischen Führungsduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sollte dieser gelingen. Das war die Zeit der »NoGroko«-Kampagne, als die Jungsozialisten der SPD kräftig aufspielten und Kühnert ihr Taktgeber war. Die Zeit, als der Juso-Chef über die Notwendigkeit von Vergesellschaftungen sprach und einen Konzern wie BMW aufs Korn nahm, weil der rhetorische Gegner gar nicht groß genug sein konnte. Ende des vergangenen Jahres dann setzten sich die beiden Vorsitzenden nicht zuletzt dank der Unterstützung der Jungsozialisten gegen die Mitbewerberteams für die Parteispitze durch. Kevin Kühnert wurde stellvertretender Parteivorsitzender. Und als dies alles tatsächlich gelungen war, wurde die Forderung nach einem Ende der Großen Koalition aufgeschoben und durch Gespräche über Projekte des Koalitionsvertrages ersetzt - mit dem Ergebnis, dass die Grundrente, von deren zuerst geplantem Umfang zu diesem Zeitpunkt bereits nur noch ein löcheriger Käse übrig war, mit neuer Entschlossenheit verkündet wurde. Des Weiteren wurde die Energiepolitik zum koalitionären Schwerpunkt erklärt und staatliche Investitionen ins Auge gefasst, von denen zu diesem Zeitpunkt allerdings noch niemand ahnte, dass sie von den tatsächlichen Notprogrammen in der Coronakrise weit in den Schatten gestellt werden würden.
Kevin Kühnert jedenfalls kreuzte nun längst die Wege der Großkoalitionäre und möglicherweise auch ab und an die Klinge mit einem von ihnen. Dort, wo der Kurs zwischen dem von Kühnert ungeliebten Vizekanzler Olaf Scholz und Fraktionschef Rolf Mützenich entschieden wird, der jüngst mit überraschenden Forderungen etwa nach einem Abzug US-amerikanischer Atomwaffen aus Deutschland für Furore sorgte, eröffnet sich für Kühnert sicher ein neues Feld der Selbstverwirklichung. »Ich möchte gern die Veränderung, die wir als Jusos angestoßen haben, auch in die SPD-Bundestagsfraktion und ins Parlament hineinrücken«, sagte er.
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